Montag, 11. Januar 2010

Verstandes-Verliebheit

Heute ließ ich mich wegen meiner starken Rückenschmerzen krankschreiben. Danach lag ich mehrere Stunden lang auf dem Sofa, in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen, mit ständig kreisenden Gedanken (und den gewohnten Kopfschmerzen), und mit dem Bewußtsein leider nur im Kopf, unfähig, es von dem Grübeln abzuziehen.

Meine Misere ist noch größer, als ich bislang angenommen habe. Ich verstehe den Prozeß des Erwachens jetzt als einen Prozeß zur Gesundung des Gehirns von seinem Wahn, Kontrolle ausüben zu können. Parallel gibt es einen Prozeß zur Gesundung des Bewußtseins von seinen falschen Identifikationen. Vielleicht gibt es auch nur letzteren, und das Problem des Gehirns löst sich gleichzeitig von alleine. Denn das Gehirn tut ja nur das, was ein Gehirn so tut: es denkt, es bildet Assoziationen, es interpretiert, es deutet, es sucht Analogien, es zieht (vermeintliche) Verbindungen und Rückschlüsse. Der Fehler ist, diese Gedanken und Interpretationen für die Wahrheit zu halten.

Mir ist seit gestern klar, daß ich ungeheuer verliebt bin in meine Interpretationen, und daß ich rasend gerne eine Lebensgeschichte sowie jetzt eine Geschichte meines Prozesses erfinde. Das macht mir ungeheuer viel Spaß. Und das muß ich jetzt alles loslassen. Das fällt mir wirklich sehr schwer, das tut weh. Aber ich sehe jetzt, wie tief mich das verstrickt hat. Und ich bin wirklich dankbar, daß ich das jetzt sehen kann. Ich möchte lernen, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und nicht so, wie ich sie gerne hätte.

Ich kann nicht mehr zurück. Ich kann mich nicht mehr in den normalen Alltagsschlaf zurückretten, dafür habe ich schon zu viel verstanden (auch wenn es überwiegend nur intellektuelles Verständnis und zu wenig echte Erfahrung sein sollte). Außerdem bin ich nicht richtig arbeitsfähig. Mir kann nur Flucht nach vorn helfen, ich muß weitergehen. Und ich will ja auch weitergehen. Es ist meine Berufung, ich kann und will nicht anders.

Mit Schattenarbeit habe ich viel Erfahrung. Aber vom Bewußtsein weiß ich so gut wie nichts.

Nach der gestrigen Ernüchterung war ich zunächst völlig ratlos, was ich nun weiter tun soll. Der einzige Ansatz, der mir dazu einfällt: alles, was ich tun kann, bezieht sich auf das Bewußtsein, auf dieses mir völlig unbekannte, fremde Feld, mit dem ich erst seit einigen Monaten anscheinend nicht ganz ungefährliche Experimente anstelle. Ich will mehr darüber lesen und mehr Versuche anstellen (ich bin diesbezüglich risikofreudig, Mut gehört zur genetischen Veranlagung dieses Körpers).

Bei alldem glaube ich seit längerem, daß ich ein intuitives Verständnis davon habe, was mit "Reines Sein" gemeint ist. Ich kann mich daran erinnern, wie ich als Kind völlig in dem versunken bin, was ich gerade tat. Ich kann mich auch im erwachsenen Leben an Situationen erinnern, die sich völlig fließend und stimmig aus sich heraus entwickelten, ohne daß ich darüber nachdachte. Das muß doch dem wirklichen Sein zumindest nahekommen. Was mir bisher fehlt, ist der Aspekt der Bewußtheit, bisher war ich in solchen Situationen unbewußt.


Nachtrag: Im Verlauf des Abends ging die Gedankentätigkeit deutlich zurück, kam kurzzeitig sogar ganz zum Stillstand. Wo dabei meine Aufmerksamkeit war, kann ich gar nicht sagen, sie haftete jedenfalls nicht mehr am Verstand. Ich empfand kurzzeitig ein Gefühl von Befriedigtsein. Die Kopfschmerzen sind deutlich zurückgegangen. Nach zwei eher harten Tagen freue ich mich über diese kurze Atempause mit innerer Ruhe.

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