Freitag, 24. September 2010

Wut und Lösung

Wie schnell doch Stimmungslagen sich ändern können. Vor einigen Tagen hatte ich bei einer Lichtmeditation ein klares Bild von einem intensiv silbrigen fast materiell festen Lichtstrahl, der von oben in mich hineinströmte. Das fühlte sich gut und nährend an.

Am Tag danach gab es intensiven Ärger am Arbeitsplatz. In der darauffolgenden Nacht (es war Vollmond) konnte ich nicht schlafen (für mich eher ungewöhnlich), weil ich voller Wut und Zukunftssorgen war.

Heute dann nochmal ein Zusammenprall mit meinem Vorgesetzten, der (im nachhinein, unter 4 Augen) mein Verhalten während einer Besprechung kritisierte – ich solle nicht so negativ sein und die anderen nicht mit meinem negativen Reden herunterziehen. Es war bei ihm nicht gut angekommen, daß ich vom bevorstehenen Platzen der Kreditblase gesprochen hatte. Zudem war bei mir zum wiederholten Mal die Wut darüber hochgekocht, daß wir demnächst alle zu viert in neuen Büros zusammengepfercht werden, ohne Privatsphäre und mit viel zu wenig Platz.

Heute abend war ich bei der Tanz-Therapie. Es ging um verschiedene Übungen zum Kind-Ich und zum Erwachsenen-Ich. Mein inneres Bild vom Kind-Ich war heute bestimmt von Scham, Mich-Verstecken-Wollen, Nicht-Gesehen-Werden-Wollen. Und das Erwachsenen-Ich fühlte sich wie im Gefängnis, eingesperrt, jeder Bewegungsfreiheit beraubt, und rüttelte zornig an den Gitterstäben.

Kind-Ich und Erwachsenen-Ich waren in Liebe aufeinander bezogen, aber konnten nicht zueinander. Das Kind, weil es zusammengekrümmt am Boden liegt und sich schämt, und die Erwachsene, weil sie eingesperrt ist. Dabei können beide das blühende Leben sehen, in Form eines dichtgrün belaubten Baumes, der einige fröhlich pfeifende Vögel beherbergt, die im Sonnenschein ihr Leben genießen.

Das Leben ist ganz nah, ich kann es sehen. Ich war auch in der letzten Zeit öfter dort, in der Freiheit. Aber heute fühlte ich mich im Gefängnis.

Hier gibt es offenkundig einen Zusammenhang. Nach längerer eher friedfertiger Phase bin ich in dieser Woche stark an innere Grenzen gestoßen. Da ist Wut, da ist Hilflosigkeit, da ist Ausgeliefertsein, da ist auch Enttäuschung, daß ich nicht so sein darf, wie ich bin, daß ich nicht so angenommen werde, wie ich bin. Die Sehnsucht, mich authentisch zeigen zu dürfen, mit allen Licht- und Schattenseiten. Ich möchte geliebt werden, auch wenn ich gerade aggressiv bin und nicht angepaßt.

Da ist aber auch Trotz. Auf dem Bild, das ich heute malte, um meinen inneren Zustand zu versinnbildlichen, war niemand, der abfällig mit dem Kind umgeht oder ihm sonst irgendeinen Grund gibt, sich zu schämen. Es schämt sich aus sich selbst heraus. Es war auch niemand da, der die Erwachsene hinter Gitter sperrt. Im Gegenteil: ich wurde darauf aufmerksam gemacht, daß die Gitterstäbe soweit auseinanderstehen, daß ich problemlos aus dem Gefängnis heraustreten könnte.

Ich bin offenbar freiwillig dort, habe mich selber eingesperrt, um mit den Gitterstäben hadern zu dürfen. Und das Kind ist nur beleidigt, weil es nicht genug Beachtung bekommt. Es spielt die Scham nur, sie ist nicht (mehr) ganz echt (die tatsächlich schamauslösenden Grenzverletzungen liegen hinter ihm).

Einen aktuellen Grund für Scham und Schuldgefühl gibt es allerdings. Ich bringe nicht immer die volle Arbeitsleistung. Wenn demnächst direkt neben mir eine Kollegin sitzt, kann ich meine inneren Auszeiten nicht mehr verbergen. Das macht mich wütend und trotzig.

Ich glaube, das Problem ist, daß ich zu diesen Auszeiten nicht stehe. Ich gaukele anderen vor, daß ich immer mit Hochdruck arbeite. Manchmal ist das auch so, da leiste ich überdurchschnittlich viel in sehr kurzer Zeit. Aber dann brauche ich lange Verschnaufpausen, wo ich gar nichts tue und mich nur ablenke. Ich zeige anderen immer nur die Schokoladenseite, die Schattenseite verstecke ich bisher sehr erfolgreich. Das wird demnächst nicht mehr möglich sein, zumindest befürchte ich das.

Diese Befürchtung, die Vorstellung von dem, wie es sein wird im neuen Büro, löst eine Mischung aus Scham/Schuldgefühl und Wut aus. Und es berührt ganz offenkundig ein Muster aus meiner Kindheit, deshalb reagiere ich so stark.

Wo ist hier die innere Lösung des Konflikts? Ich bekam den Hinweis, daß ich mich mit dem inneren Kind aussöhnen muß, und daß das Kind die Erwachsene aus dem Gefängnis befreien muß. Das Kind muß seinen beleidigten Trotz und die tieferliegende schamauslösende Verletzung überwinden, auf die Erwachsene zugehen und aus dem Gefängnis herausführen. Und die Erwachsene? Hier sehe ich noch nicht ganz klar. Sie muß das Kind in die Arme schließen, das ist klar und fällt mir – im Verlauf mehrerer tänzerischer Übungen – auch leicht.

Ich glaube, die Erwachsene muß akzeptieren, daß das Kind nicht perfekt ist, nicht immer alles zu 100% gut machen kann, sondern auch Freiraum braucht, Auszeiten. Ich muß dazu stehen, daß ich kreative Pausen brauche. Und dieses Bedürfnis muß ich zumindest den Kollegen im Büro demnächst offenbaren bzw. zulassen, daß es bemerkt wird. Ich muß zulassen, daß meine müden, leistungsarmen, trägen Tage genauso gesehen werden wie meine brillianten, vor Energie und Ideen sprühenden Tage. Es ist eine letzte Unehrlichkeit, die ich mir bisher erlaube, weil es das Arbeitsleben vereinfacht. Es scheint so, daß ich diese Unehrlichkeit jetzt auch aufgeben muß, mich mehr öffnen muß, mich noch authentischer zeigen muß, auch wenn das Nachteile bedeuten sollte. Seufz. Es bedeutet auch ein wenig, von dem inneren hohen Roß herunterzukommen, auf das ich mich manchmal setze – von wo aus ich glaube, mehr zu sein oder mehr zu können oder mehr zu leisten als andere.

Das ist nicht so ganz wahr. Wenn ich beide Seiten von mir nehme, kommt im Durchschnitt vielleicht so etwas wie ein Mittelmaß heraus. Vielleicht ist meine Arbeitsleistung insgesamt durchschnittlich, geprägt von etwas extremeren Polen.

Das ist natürlich schrecklich für mein Ego, „nur Durchschnitt“ zu sein. ;-) Ich will immer etwas „Besonderes“ sein.

Vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm, wie ich befürchte. Trotzdem wird die neue Situation eine ungewohnte Belastung mit sich bringen. Ob ich meinem inneren Kind diese Belastung zumuten kann oder eine Veränderung der beruflichen Situation suchen muß, will ich abwarten.

Heute im Tanz gelang es mir jedenfalls gut, daß sich Kind und Erwachsene in mir versöhnen und miteinander viel Freude haben. Die Tränen, die dabei heute bei mir flossen, waren reinigend und heilend. Ich fühle mich jetzt wieder ganz gut, wenn auch etwas nackt und schutzbedürftig.

Irgendwas soll ich aus diesem Spielfilm doch wieder lernen. Jetzt, als ich den Text gerade schon hochladen will, fällt mir noch was ein. Ich werde mein inneres Kind beschützen, ihm nicht mehr zumuten als notwendig. Ich werde meinen inneren Freiraum verteidigen. Volle Offenheit im Job ist auch nicht angesagt. Wenn nicht gewünscht wird, daß ich meinen Finger in die Wunden diesr Organisation lege, dann schweige ich eben. Ich kann das tun, ohne den Frust und die Wut in mich hineinzufressen, wenn ich mit mir selbst im Einklang bin. Derzeit ist es die eigene innere Unausgegorenheit, die ich nach außen aggressiv ausdrücke. Davon müßte ich mich befreien können.

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