Mittwoch, 23. Februar 2011

Überarbeitung im Sklavensystem

Seit einigen Wochen arbeite ich unglaublich viel. Das Gute daran: ich kann es wieder! Ich kann mich wieder einen ganzen Tag plus Überstunden sehr erfolgreich auf meinen Job konzentrieren und gute Arbeit leisten. Früher war das für mich ganz normal, dann gab es eine lange Phase, in der es kaum noch ging, und zuletzt war es wechselhaft. Jetzt kann ich sagen: ich bin wieder voll arbeitsfähig. Das ist schön.

Es ist aber nur eine dünne Haut, die mir das Funktionieren wieder ermöglicht. Die reißt ganz schnell auf. Heute gab es so eine Situation. In einer größeren Runde wurden demnächst anstehende Projekte besprochen. Da diese inhaltlich in meinen Augen in die völlig falsche Richtung laufen (noch mehr Bürokratisierung unserer Arbeit, die nur mit kreativer Freiheit wirklich gut läuft), habe ich mich schon ziemlich aufgeregt und auch laut Kritik geäußert. Und das setzte ich dann später im Büro im kleineren Kreis fort.

Eigentlich wollte ich verschweigen, daß ich demnächst eine Weiterbildung zu einem ganz anderen Thema mache. Heute konnte ich es nicht mehr zurückhalten, als ich sehr provokant gefragt wurde, warum ich mich denn nicht fortlaufend bei anderen Firmen bewerbe, wenn ich mich bei der aktuellen so unwohl fühle. Das mache ich derzeit eben nicht, weil ich mich jetzt erstmal auf die Weiterbildung konzentrieren will.

Es ist völlig sinnlos, von einem Sklavenhalter zu einem anderen zu wechseln. Das ändert am System überhaupt nichts. Am Anfang muß man sogar besonders viel arbeiten, kann sich wenig Freiheiten nehmen, darf nicht unangenehm auffallen usw. Es gibt vielleicht einen kleinen Motivationsschub durch die neue Situation, aber letztlich ist es wohl in fast allen Unternehmen aller Branchen mehr oder weniger ähnlich. Keiner kann dem gnadenlosen Wettbewerbsdruck durch das exponentiell wachsende Schuldgeldsystem entkommen. Wir rationalisieren uns zu Tode, dabei bleibt die Menschlichkeit und jeder Lebenssinn überall auf der Strecke.

Genauso ist es sinnlos, bei einer Wahl das Kreuz mal bei der einen und mal bei der anderen Systempartei zu machen – wie gerade bei der Hamburg-Wahl. Das ändert auch garantiert überhaupt garnichts. Es vermittelt vielleicht die Illusion, der Wechsel könnte irgendwas bewirken, aber mehr auch nicht. Es ist eine Illusion. Ich verstehe nicht, warum so viele Wähler immer noch darauf hereinfallen. Leider werden die Nichtwähler ja nicht mitgezählt, sie bewirken nicht einmal eine Verringerung der Parteienfinanzierung oder der Diäten. Ich will mich mal sachkundig machen: ich glaube, die Stimme ungültig machen ist im Zweifelsfall noch besser.

Ich bekam heute von einer Kollegin auch vorgehalten, daß ich das „Spiel der Männer“ nicht gut genug mitspiele, daß ich zum Beispiel mit meinen Erfolgen nicht genug prahle, damit nicht präsent genug bin, und mich so auch nicht wundern dürfe, wenn ich nicht genug Anerkennung finde. Als ich im Gespräch preisgab, daß ich in diesem Unternehmen nur ein einziges Mal eine Gehaltserhöhung von 70 Euro bekam (vor etlichen Jahren), meinte die Kollegin dazu: „Das ist ja eine Beleidigung.“ Genau, sie hat es auf den Punkt getroffen. Wenn man nach Jahren erfolgreicher Arbeit in einer Gehaltsverhandlung mit so einem Taschengeld abgespeist wird, wirkt das wie eine Abwertung und Beleidigung. Ich war der Kollegin gar nicht böse drum, ich sehe es ganz genauso. Für mich war das damals völlig demotivierend und ist es noch heute.

Natürlich, ich könnte mich auf dem Jobmarkt besser präsentieren und auch im Unternehmen bestimmte Spielchen besser mitspielen. Aber nur um den Preis des völligen Selbstverrats. Und das mache ich nicht mehr mit. Ich spiele jetzt soweit mit, daß ich mir selber auf die Schulter klopfen kann, daß ich selber meinen Einsatz und meine Leistung wertschätzen kann. Ich mache das für mich. Ich mache es auch für die Kollegen, die überwiegend sehr nett sind, mit denen ich gerne zusammenarbeite, und die ich auch nicht hängenlassen möchte. Aber ich mache es nicht für die Firma. Und auch nicht fürs System. Ich spiele soweit mit, daß ich mein Einkommen wenigstens nominal erhalte (real sinkt es ja seit Jahren und durch die steigende Inflation immer schneller). Aber meine Seele möchte ich nicht mehr dem Teufel verkaufen.

Es ist eine schwierige Gratwanderung. In den letzten Wochen habe ich mit meinem Einsatz, um ein wichtiges Projekt termingerecht fertigzustellen, meine eigenen Grenzen schon wieder etwas überschritten. Ich bin völlig erschöpft, fühle mich stark erholungsbedürftig. Leider ist keine Erholung in Sicht. Ich werde meine Überstunden wohl langsam wieder abbummeln, sonst würde mich bald irgendeine Krankheit erwischen, die mich dann zur Erholung zwingt.

2 Kommentare:

  1. Liebe Louise,

    was Du beschreibst, kenne ich auch sehr gut.

    Im Berufsleben ist es am deutlichsten zu spüren, wie unsere Gesellschaft in Punkto Menschlichkeit immer weiter „erkrankt“. Es geht größtenteils nur noch um Macht und Profit; die Reichen werden immer reicher, die Armen noch ärmer.

    Dennoch: die Gratwanderung, die Du beschreibst und die wir zu bestehen haben, ist unser aller Weg zur Menschwerdung.
    Doch die Wenigsten wissen, dass das unsere eigentliche Lern-Aufgabe in dieser Welt ist.

    Liebe Louise, ich achte Dich sehr.
    Weil Du Dir selbst/Deiner Seele nicht untreu werden willst und es deswegen in Kauf nimmst, gegen die Unbilden im Leben anzutreten.
    Und je mehr Du Dich auch selber beginnst, zu lieben, umso mehr wirst Du auch mit den Schwierigkeiten oder Ungerechtigkeiten in der Welt umgehen können.
    Der Punkt ist, erstens: sehr wohl zu erkennen, was unfair, falsch oder schädigend ist, aber dann auch zweitens: vor allem, selber ANDERS zu sein.
    Als Beispiel und Vorbild, als moralischer, gerechter und gesunder Mensch durch das Leben zu gehen.
    So wird dem Gegenpart deutlich vor Augen geführt, worauf es ankommt im menschlichen Miteinander.
    Denn das stärkste Mittel, Unmenschlichkeit anzuprangern, ist, Deinen Nächsten zu lieben – egal, was er tut.

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  2. Liebe Annie,

    danke für diesen tiefgründigen Kommentar. Ich mußte ihn mehrmals lesen und auf mich wirken lassen und muß jetzt gestehen: er führt weiter, als ich aktuell gehen kann.

    Ich denke, erst kommt die Eigenliebe, dann die Nächstenliebe und dann die Feindesliebe. Ich übe noch.

    Es ist leicht, andere zu kritisieren, schwerer ist es, bei sich selber genau hinzuschauen. Letzteres mache ich ja schon viele Jahre mit viel Hingabe, aber daß daraus ein "Liebe Deine Feinde" wird, kann ich noch nicht behaupten. Ich bin schon froh, wenn ich Menschen, die mich in der Vergangenheit verletzt haben, neutral begegnen kann.

    "Frieden auf Erden" wird es nur geben, wenn alle Menschen ihren Groll aufeinander abbauen. Ich kann mich dazu aber auch nicht zwingen, es muß wachsen.

    Deshalb hast Du sehr recht damit, daß ich zuerst mich selber lieben muß - mit allen Facetten. Das ist erstmal schwer genug.

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