Montag, 9. Mai 2011

Federn

Von einer mehrstündigen Autofahrt zurückkommend fuhr ich heute direkt in den Wald. Anstatt sofort zu meinem Siztplatz zu gehen, gab ich meinem Bewegungsdrang nach und folgte einem kleinen Pfad entlang dem Bach, den ich neulich schon gesehen hatte. Das Gebiet wird offenbar von Kinder- und/oder Jugendgruppen genutzt, ich fand diverse Stellen, an denen sie Spuren hinterlassen hatten: eine Hütte aus Zweigen, eine Feuerstelle, ein Floß aus einem rieisigen halben Baumstamm, ein dickes Tau mit einem Holzgriff, um sich über den Bach zu schwingen. Dazu noch sehr viele Baumstämme, die offenbar als Brücke an verschiedenen Stellen dienen.

Auf diese Stämme traue ich mich derzeit noch nicht, aber ich habe zahlreiche kreuz und quer liegende „Kletterbäume“ zum Üben genutzt. Ich möchte gerne meinen Gleichgewichtssinn verbessern. Als Kind konnte ich problemlos freihändig über „Stock und Stein“ balancieren. Wenn ich wie heute unbeobachtet bin, kann ich ungehemmter balancieren, das macht mir so viel Spaß.

Dann fand ich einige sehr kleine Flaumfedern, die meine Neugier weckten. Ich suchte nach und nach mehrere Quadratmeter im Umfeld systematisch ab und fand schließlich eine ganze Tüte voller kleiner Flaumfedern. Es waren nur zwei kräftigere Federn von den Schwingen dabei. Wo ist der Rest geblieben? Die Federn waren offenbar vom Wind schon stark verteilt worden, und da es seit Wochen nicht geregnet hat, könnten sie schon länger dort gelegen haben. Die beiden Schwungfedern waren abgebissen, nicht gerupft. Daraus habe ich geschlossen, daß der Räuber wohl ein Säugetier war, ein Fuchs vielleicht. Vielleicht war es ein Jungvogel, der noch keine richtigen Schwungfedern ausgebildet hatte.

Nun machte mir mein kleiner Spaziergang so viel Freude, daß ich beschloß, dem Bachlauf weiterzufolgen und auf die Sitzplatzübung heute zu verzichten. Es ist gut, immer der inneren Eingebung zu folgen, nicht irgendeiner verstandesmäßigen Vorgabe. Das Gelände ist ein wunderbarer Spielplatz, für Kinder sowieso, aber warum nicht auch für Erwachsene? Wenige Spaziergänger sind dort zu erwarten (ich traf keine), weil die vielen quergelegten Baumstämme das Gehen behindern. Die Spaziergänger mit ihren Hunden sind auf der anderen Seite des Bachlaufs, bei der Pferdekoppel.

Ich ging weiter, bis der Wald an ein offenes Feld grenzte. Dahinter sah ich einen Wanderweg, den ich mir vorher auf der Karte angesehen hatte. Da ich keine Lust hatte, auf den offiziellen Weg zu gehen, folgte ich einem weiteren Trampelpfad durch den Wald entlang des Feldrands. Es war total schön da. Ich hörte viele Vögel, sah sie wie meistens zunächst nicht. Aber dann konnte ich einen Vogel hoch oben in einer Eiche beobachten. Er knabberte da irgendwas, evt. zupfte er an den jungen Blättern? Welche Vogel macht sowas? Ich konnte ihn nicht bestimmen, er war etwas kleiner als eine Amsel, mit recht langem dünnen Schwanz und bräunlich. Ich werde nachher meine Bestimmungsbücher wälzen, aber vermutlich habe ich zuwenige Details erspähen können.

Das beste kam noch. Ich stieß auf einen Reitweg, von dem ich nach Himmelsrichtung vermutete, daß er mich zu meinem Auto zurückführen würde. Da war es heute abend schön still. An einer Wegkreuzung sah ich dann etwas, was ich so noch nie im Wald gefunden habe: einen riesigen Haufen weißer Federn, rund um einen Baumstumpf verteilt. Ich schaute mir das Schlachtfeld an. Nur Federn, keine Reste von dem Vogel, der getötet wurde. Alle Federn fein säuberlich gerupft. Also war ein Greifvogel der Jäger.

Ich hatte es auch genau so geschildert bekommen: einige Greifvögel rupfen die Beute gerne auf einem Baumstumpf. Offenbar war kein Mensch vor mir an diesem Rupfplatz. Ich fing sofort an, die Federn einzusammeln. Ich möchte gerne später die Schwingen zusammenpuzzeln, um etwas darüber zu lernen. Also suchte ich alle größeren Federn und auch noch einige Handvoll Flaumfedern. Ich hielt das Opfer zunächst für eine Taube, da sah ich, daß etliche kleine Federn einen sehr schönen grünen Schimmer hatten, einige auch einen dunkelroten. Ansonsten nur weiße oder schwarz-weiß gescheckte Federn. Eine Ringeltaube? Aber die hat doch ein graues Deckgefieder, das kann es wohl nicht sein. Ich werde auch hierfür ein Bestimmungsbuch bemühen müssen.

Als ich diesen Berg Federn einsammelte und mir bewußt wurde, daß es kein Zufall ist, sondern daß ich von meiner Intuition hierhin geführt wurde, erfüllte mich ein sehr starkes Glücksgefühl. DAS ist meine Welt, HIER lebe ich auf. Ich möche so gerne alles lernen über Zusammenhänge in der Natur. Und ich möchte vor allem die Natur erleben, mit allen Sinnen. Dieser Wald, obwohl nur auf kleiner Fläche, ist wunder-, wunderschön. Ich gehöre hierhin, in diesen Wald, und ich möchte ihn noch viel besser kennenlernen.

Der innere Druck – „was nur soll ich mit/nach dieser Weiterbildung anfangen“ – ist zurückgegangen. Ich mache das zunächst mal für mich selber. Wenn ich sooo glücklich sein kann im Wald, dann möchte ich ihn so oft wie möglich aufsuchen. Es ist ganz klar, daß es für mich der richtige Weg ist. Wo auch immer er mich hinführt.

Das war ein magisches Erlebnis heute. Dieser riesige Haufen weißer Federn: unschuldig und rein, obwohl sie doch Zeichen einer Tötung waren. Aber wenn der Tod wie hier im Einklang mit der Schöpfung erfolgt, weil einfach ein Vogel einen anderen tötet, um ihn als Nahrung zu nehmen, dann empfinde ich den Tod als heilig. Mich macht der Tod sehr still und weit.

2 Kommentare:

  1. Immer wieder schön, Deine Erlebnisse und Stimmungen zu lesen ;-)
    Ich fand in einem kleinen Wald auch mal kleine Hütten, Seile usw. und kam später drauf, dass dort ein kleiner Waldkindergarten immer unterwegs ist. wenn es arg regnet oder kalt ist haben sie im Gebüsch einen tollen Bauwagen zur Verfügung. Das ist wunderbar, find ich ^^.
    Liebe Grüße!

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  2. "Waldkindergärten" müßte es auch für Erwachsene geben. :-) Ich habe jetzt endlich einen Wald-Erlebnisraum für mich gefunden, und es tut mir wahnsinnig gut. Kann ich nur weiterempfehlen!

    Liebe Grüße,
    Louise

    P.S. Die Federn waren übrigens doch von einer Ringeltaube. Zu Hause sah ich, daß sie hellgrau waren. In der Dämmerung hatte das im Wald schneeweiß gewirkt. Die Federn waren recht klein, also wohl von einer jungen Taube. Beim Zusammenpuzzlen fiel mir auf, daß die Handschwingen des rechten Flügels fehlten. Eigentlich wollte ich ja nochmal zurückkehren, um nach dem fehlenden Flügel zu suchen, aber dazu kam ich dann doch nicht mehr.

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