Dienstag, 1. Juni 2010

unser tägliches Brot

Heute war nach längerer Pause wieder Meditationskurs. Ich war heute voller Gedanken und voller Unruhe. Habe das akzeptiert und einfach die Gedanken zu Ende gedacht, die sowieso da waren.

Aber einen etwas lichteren Moment hatte ich. Ich sah vor mir einen Brotteig (sicher inspiriert von meinen Backversuchen mit dem Mehl aus meiner neuen Mühle). Und ich teilte vor meinem inneren Auge diesen Brotteig – nein, unterdessen war es ein fertiggebackenes rundes Brot - in zwei Hälften, um herauszufinden, wo denn eigentlich der Kern dieses Brots ist, wo ist das Wesen, das Individuum, was genau schafft hier die Identität?

Und da war es für einen Moment so klar, daß es da überhaupt keinen Kern gibt, nur viele Krümel. Zwischen den Krümeln ist leerer Raum und auch wenn man die Krümel weiter zerkleinern würde, fände man nur leeren Raum. Das wahre Wesen dieses Brots ist Zwischenraum – oder nichts.

Dieses innere Bild, dieser kurze Film war von einem sehr angenehmen wohligen Gefühl begleitet. Schön. Denn vor einigen Monaten, als ich erstmal ein inneres Bild hatte, das vom Nichts handelte, hat es mich noch sehr erschreckt und zu einem Alptraum geführt.

Auf der Rückfahrt hatte ich in der gut gefüllten S-Bahn noch eine intensive Begegnung. Eine abgerissen aussehende junge Frau mit großem Schäferhund (wie beschreibt man das, ohne abwertende Ausdrücke zu benutzen?) wandte sich an mich und bat mich darum, ihr einen Teil des Essens zu schenken, das ich in der Hand trug. Ich lehnte ab, weil ich selber gerade mit viel Appetit dieses Falafelbrot verspeiste, das sich zum Teilen auch überhaupt nicht eignete. Sie wiederholte nochmal mit Nachdruck, daß sie so großen Hunger habe und wandte sich dann enttäuscht ab. Normalerweise habe ich Angst vor großen Hunden und gebe zwar gerne einmal Straßenmusikanten etwas, aber bettelnden Menschen eher nicht, schon gar nicht, wenn diese mich direkt ansprechen.

In dieser Situation war ich nun völlig angstfrei und etwas verlegen, daß ich mein Brot nicht mit ihr teilen wollte. Ich war auch noch mit schweren Taschen behängt und konnte mich kaum bewegen. Aber wenigstens eine Geste wollte ich machen, denn ich spürte, daß sie keine Rolle spielte. Sie hatte wirklich Hunger und anscheinend kein Geld in der Tasche. So fingerte ich unbeholfen in meiner Jackentasche, bis ich zum Glück einen Euro fand.

Das war nun nicht viel, aber ich drückte ihr zumindest diesen Euro in die Hand und lächelte sie an. Und sie gab mir einen unbeschreiblichen Blick zurück. Es war so, als würde ich mir selbst in die Augen sehen. Oder Jesus.

"Was Du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast Du mir getan."

Sie hat mir in diesem Moment viel mehr geschenkt als ich ihr. Sie stieg unmittelbar danach aus. Ich war noch lange total ergriffen und bereute im nachhinein, daß ich ihr nicht dieses ganze Brot einfach in die Hand gedrückt habe. Denn auf mich wartete ein warmes Zuhause mit gestapelten Vorräten für viele Monate – auf sie vielleicht nur die Straße.

Ich weiß überhaupt nicht, was Armut heißt. Auch nicht, was Hunger heißt.

Es passieren merkwürdige Dinge, seit ich diesen Meditationskurs besuche. Nach dem letzten Mal habe ich meinen vegetarischen Versuch beschlossen, und diesmal hatte ich diese Erfahrung, in der es offenkundig um Teilen ging. Ich soll etwas von meinem "Reichtum" abgeben. Ja, das legt den Finger in eine Wunde. Ich gebe nicht so gerne etwas ab. Und zwar aus Angst, selber nicht genug zu haben. Mein Sicherheits - und Vorsorgedenken hindert mich daran, angemessen großzügig zu sein. Das stelle ich erstmal nur fest. Mal sehen, ob sich daran zukünftig etwas ändert.

"Unser tägliches Brot gib uns heute"

Ich bin dankbar, daß es mir materiell gutgeht.

2 Kommentare:

  1. dein bericht hat mich zu tränen gerührt. ich kenne diese momente, den zwiespalt, die öffnung, die geschieht, wenn wir geben und sehen, daß wir eigentlich empfangen und daß der andere ein anderes ich ist.
    danke
    mit lieben grüßen
    solve

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  2. Danke, liebe Solve, für den netten Kommentar. "Öffnung" ist das richtige Wort. Ich habe mein Herz geöffnet und handelte schließlich aus Liebe. Das ermöglichte offensichtlich die für mich tief berührende Erfahrung. Für einen kurzen Moment begegnete ich dieser Frau auf einer inneren Ebene. Da ist etwas viel tieferes abgelaufen, als sich in der äußeren Handlung gezeigt hat. Es hat mich überwältigt.

    Ich habe gerne davon geschrieben.

    Herzliche Grüße,
    Louise

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