Mittwoch, 22. Dezember 2010

Schwermut

Völlig unerwartet befällt mich Schwermut heute abend. Ich fühle mich einsam. Morgen beginnt endlich der ersehnte Weihnachtsurlaub mit ganz viel Zeit für mich. Was ist los? Ich hätte doch allen Grund, zufrieden zu sein. Ich hatte ein gutes Jahr, habe sehr viel ausprobiert, tolle Erfahrungen gemacht, viel hinzugelernt, neue Perspektiven entwickelt.

Nachdem ich einige Stunden lang mehr unbewußt versucht habe, das ungute Gefühl zu verdrängen, will ich jetzt doch lieber hinschauen. Erfahrungsgemäß ist das ja die einzige Lösung.

Ich habe eben mein Gefühl als Person visualisiert. Erst war es nicht klar, dann sah ich mich als Mädchen im Alter von etwa 12 Jahren, kein Kleinkind mehr, aber auch noch nicht erwachsen. SIE ist einsam und unglücklich, fühlt sich unbeliebt und nicht wertgeschätzt.

SIE möchte so gerne Beachtung finden, einen lebendigen Austausch haben. Von Gleichaltrigen fühlt sie sich nicht angenommen, von Erwachsenen noch nicht ernstgenommen. SIE fühlt sich Gleichaltrigen teils überlegen, teils einfach anders. Es gibt wenig gemeinsame Basis.

Hat SIE damals angefangen, zu viel zu essen, um zu kompensieren? Aber es hilft doch nicht, Essen in sich hineinzustopfen, wenn es eigentlich an Liebe fehlt.

Wie jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit habe ich Unmengen an Vorräten ins Haus geschleppt, viel zu viel, wie immer. Ich finde es toll, alles im Haus zu haben, zwischen den Jahren keinen Supermarkt mehr betreten zu müssen und auch noch im Januar und Februar weitgehend von den Vorräten zehren zu können.

Andererseits finde ich die Schlepperei schrecklich, und wenn ich an der Supermarktkasse einen randvoll gefüllten Einkaufswagen erst entleere und dann wieder einlade (und dann ins Auto lade und wieder auslade, durch den Schnee trage und dann noch stundenlang zu Hause verstaue), frage ich mich jedesmal, ob es nicht auch mit weniger Zeug ginge. Warum mache ich das?

Es gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, ein Schutzpolster. Und Essen schafft eben auch immer ein Befriedigungsgefühl. Jedenfalls kurzzeitig.

SIE möchte aber nicht einfach nur mit Essen vollgestopft werden, SIE möchte Beachtung. SIE möchte, daß ich Zeit mit IHR verbringe. Zeit zum Reden, Zeit für Zärtlichkeit, Zeit für Intimität, Zeit auch zum Spielen. SIE möchte sich zeigen dürfen, ohne Rollen spielen zu müssen. SIE möchte einfach so sein, wie sie ist, und so angenommen werden.

SIE braucht Begleitung beim Übergang in die Pubertät. Eine gute Freundin.

Die gute Freundin will ich IHR sein. „Komm, zeig mir, wer Du bist, was Du kannst, was Dir wichtig ist, ich habe Zeit für Dich.“

Ich glaube, SIE braucht eine ältere Freundin. Nicht die Mutter, sondern vielleicht eine gute Bekannte der Eltern, eine Nachbarin, oder eine Verwandte. Eine Tante vielleicht. Ich hatte als Kind eine Lieblingstante. Leider verlor sich die Bindung etwas vor dem Eintritt in die Pubertät. Und sie starb viel zu früh – bevor ich eine tiefere erwachsene Bindung zu ihr aufbauen konnte.

Dann will ich IHR jetzt mal eine gute Tante sein. IHR Zeit schenken. SIE möchte so gerne mal frei von Pflichten sein, die früh schon auf ihr lasteten. SIE war zu früh zu vernünftig. Warum nicht mal wieder unvernünftig sein? Der Berufsalltag liegt ja jetzt für 10 Tage hinter mir, Gott sei Dank!

Ich habe noch viel zu tun in den nächsten zwei Tagen, aber ich will es mit Augenmaß tun. Und dabei versuchen, die Balance zu halten zwischen Müssen und Wollen. Ich habe schließlich Urlaub. Und den habe ich mir auch verdient.

Dann werde ich SIE mal fragen, was SIE denn gerne in der freien Zeit tun würde. Vielleicht ja was ganz anderes? SIE lächelt ein wenig. Ah, ich glaube, das wird schon. :-)

Das schönste an der Weihnachtszeit ist doch nicht das Essen, sondern das Zeithaben. Zeit für die Dinge, die im Alltag meist zu kurz kommen. Und Zeit für Menschen, die ich liebe.

2 Kommentare:

  1. Schön...da wird sich bestimmt einiges zeigen.
    Ich wünsche Dir eine gute Zeit und einen erholsamen Urlaub! :-)
    Frohe Weihnachten ;)

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