Donnerstag, 21. Oktober 2010

Medien-Parallelgesellschaft

Um ein paar Bilder zum Tod von Loki Schmidt zu sehen (eine der wenigen öffentlichen Personen, vor denen ich Respekt habe), habe ich ausnahmsweise die Tagesschau eingeschaltet.

Minister Brüderle verkündete dort den fabelhaften Aufschwung, mit 3,4% Wachstum in diesem Jahr, 1,8% im nächsten Jahr und um die 2% als Prognose für die nächsten 5 Jahre. Der DGB-Chef fordert Lohnerhöhungen (gähn, das steht bestimmt so in seinem Drehbuch – was nutzen 2% Lohnerhöhung auf 2 Jahre verteilt – so sah es bei mir zuletzt in etwa aus – bei zeitgleich ca. 8% echter Inflation?) Dazu sollen wir nächstes Jahr nur noch 2,9 Millionen Arbeitslose haben, ein ganz famoses Zeichen (ich mache mir nicht die Mühe, das zu recherchieren, aber die echte Zahl arbeitsloser Menschen in Deutschland ist eine deutlich zweistellige Millionenzahl). Die Krise ist vorbei, hurra...

Ich hatte den Eindruck, die glauben das wirklich. Die armen Menschen, die ihre Informationen nur aus diesen Medien beziehen, haben keine Chance, irgendetwas von dem zu erfassen, was auf uns zurollt und nicht mehr aufzuhalten ist. Natürlich könnten die meisten Menschen in ihrem persönlichen Umfeld sehen, daß etwas oberfaul ist, aber wer macht schon gerne die Augen auf?

Nur ein Beispiel: heute ist es völlig normal, sogar recht gutgekleidete Menschen beim Durchwühlen von Mülltonnen zu sehen, auf der Suche nach Leergut oder alten Zeitungen oder vielleicht gar nach Eßbarem. Das war früher eindeutig anders, solche Bilder kannte man nur aus Dritte-Welt-Ländern.

Heute habe ich Quitten-Gelee eingekocht, gut für Leib und Seele. So etwas werden zukünftig auch wieder mehr Menschen tun, wenn das Geld für Supermarkt-Ware nicht mehr ausreicht - oder wenn es diese gar nicht mehr gibt.

Nachtrag: wenn es irgendwann keine Marmelade (ein Lowtech-Produkt) im Supermarkt mehr geben sollte, dann gäbe es bestimmt auch keinen Gelier-Zucker mehr und die eigenen Vorräte wären schnell aufgebraucht. Dann könnte ich immer noch Wildobst oder Obst aus dem Garten in Wasser ohne Zucker einkochen. Fiele dann auch noch der Strom aus, ginge es zur Not mit dem Hobo-Kocher. Da stünde dann aber schnell die ganze unvorbereitete Nachbarschaft da, und falls Anarchie ausbräche, würde ich wohl nicht lange überleben.

Das Fatale an dieser Krise ist: bis kurz vor dem Zusammenbruch wird vielleicht alles noch ganz normal aussehen. Alles funktioniert, und die Aussichten sind (vermeintlich) bestens.

Aber ewiges exponentielles Schuldenwachstum in einer endlichen Welt kann es nicht geben. Irgendwann bricht die betrügerische Kreditpyramide zusammen. Was passiert dann? Wird es als Befreiung aus der Schuldgeldknechtschaft erlebt? Ist doch auch sehr aufregend, in einer solchen Zeit leben zu dürfen. Vielleicht habe ich mir das ja so ausgesucht.

Ich bin ein Kind der Wohlstandsgesellschaft. Eine existenzielle Krise habe ich noch nicht erlebt. Da braucht es nur mal einen kleinen Defekt am Auto geben, schon gerate ich in große Unruhe. Ohne Auto zu leben? Unvorstellbar.

Ich habe heute abend einen Rückblick auf das Leben von Loki Schmidt gesehen. Die Menschen, die den 2. Weltkrieg erlebt haben, sterben langsam aus. Die haben wirklich etwas durchgemacht, verglichen damit jammern wir auf sehr hohem Niveau.

Mal sehen, was kommt. Vielleicht wird es schlimmer als damals (wenn der 3. Weltkrieg ausbricht, was mir derzeit unwahrscheinlicher geworden scheint), vielleicht werden auch einfach nur unser aller Sparguthaben und Rentenansprüche gestrichen und wir machen danach weiter wie zuvor, als wäre nichts gewesen, mit neuem Papierspielgeld.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen