Freitag, 1. Oktober 2010

Wer bin ich?

Heute bei der Tanz-Therapie war unerwartet „mein“ Abend, d.h. die Thematik drehte sich um mich. Zu meiner aktuellen Situation hatte ich zu Semester-Beginn ein Bild gemalt mit einer leuchtenden kräftigen Sonne, die spiralförmig Energie nach außen abgibt – auf der rechten Seite. Auf der linken Seite sitze ich als kleines Menschlein etwas zusammengekrümmt und lehne mich an einen riesengroßen schwarzen Stein, mit einer Gedankenblase mit einem Fragezeichen und einem Blitz. Diese Bilder werden immer intuitiv gemalt, so, wie ich mich zu dem Zeitpunkt wahrgenommen habe.

Die Übungen des heutigen Abends drehten sich um Last, Belastung, Last tragen und andere belasten, Sonne, Sonnenstrahlen weitergeben, geben und nehmen, was kann ich der Welt geben? Und was brauche ich von der Welt?

Es gab auch Partnerübungen, einer ist die Sonne, der andere der schwarze Stein, die Last. Dann Rollentausch. Schließlich jeder für sich: die Balance finden zwischen diesen Extremen.

Ganz zum Schluß war ich dann aufgefordert, alleine zu tanzen. Heute das erste Mal, daß ich ganz alleine ein Thema vor der Gruppe getanzt habe. Die Aufgabe an mich: „Wer bin ich?“

Sehr passend. ;-)

Die Musik setzt ein und es geht so blitzschnell, daß ich mich in die Situation reinfinde, daß keine Zeit für viele Gedanken bleibt. Das ist der Trick bei diesen Übungen. Ich habe vielleicht am Anfang ganz kurz ein geistiges Bild, aber das verliert sich schnell, der Körper bewegt sich von alleine, ich verschmelze mit dem Tanz oder bin allenfalls Beobachterin dessen, was ich tue.

Bei mir flossen heute einige Mal Tränen, es gab aber auch Phasen tiefen Glücks. Diese Stimmungen wechseln so schnell.

Ich habe heute etwas über mich gelernt. Die Last empfand ich gar nicht als belastend, sondern als normal und leicht. Niemand belastet mich, ich habe mir die Last, die ich trage, selber ausgesucht. Ich habe es sogar genossen, als zwei Menschn an mir hingen und auf mir drauflagen. Zuerst habe ich mit Lust dagegen gekämpft, aber dann habe ich mich genauso freudig dieser "Belastung" ergeben. Ich muß nichts tun, ist doch wunderbar!

Der schwarze Stein ist nichts böses, dunkles, schweres, er ist ein Schutzraum. Ich kann mich hinter ihm vor der Welt verstecken, wenn ich Raum und Zeit für mich brauche. Und das brauche ich. Ich bin verletzlich und schutzbedürftig. Ich bin sehr weich. In mich geht vieles rein, viele Einflüsse, ich habe durchlässige Grenzen. Ich brauche den Rückzug dann und wann, um Kraft zu schöpfen, um zurück zu mir selbst zu finden. Der Stein ist also nichts negatives, er tut mir gut.

Zudem habe ich gemerkt, daß ich mich nach einer starken Schulter sehne, an die ich mich ab und zu mal anlehnen kann. Ich lehne an dem Stein, wünsche mir aber manchmal einen Menschen, bei dem ich mich fallenlassen kann. Heute gab es einige wunderbare Begegnungen im Tanz, viel körperliche und seelische Nähe. Und einige haben mir auch genau den Halt gegeben, den ich brauchte. Das hat sehr gutgetan.

Ich muß immer stark sein im Alltag, darf selten Schwäche zeigen. Ich trage sehr viel Last, in der Tat, mehr, als mir selber oft bewußt ist. Und dennoch nehme ich diese Last leicht. Aber ich brauche den sporadischen Rückzug.

Ich sehe gerade die Verbindung zu meiner Arbeit. Manchmal gehe ich dort stark nach draußen, bin aktiv im Kontakt mit Kollegen, setze sehr viel Energie ein um voranzukommen, bin sehr produktiv. Und dann gibt es Tage, wo ich mich hinter meinem Bildschirm verkrieche und nur alleingelassen werden will. Genau das spiegelt mir das Bild, das ich gemalt habe. Beides sind Anteile von mir, und beide sind gut! Der innere Konflikt, den ich am Arbeitsplatz habe, beruht darauf, daß ich meinen Kollegen und Vorgesetzten nur meine starke Seite zeigen will – und die schwache Seite verstecken möchte. Letztere kommt im Berufsleben ja auch nicht sehr gut an, schon gar nicht in unserer Gesellschaft. Sie ist aber legitim, sie gehört zu mir, sie ist sehr wichtig.

Gerade kommen mir die Tränen. Es ist die weiche, weibliche, verletzliche Seite, die ich nicht so gerne zeige. Die aber da ist und ihren Platz beansprucht. Ich will mehr auf sie achtgeben, sie hat es verdient.

Aus dem Rückzug schöpfe ich schließlich die Kraft und vermutlich auch die Kreativität, um dann wieder vorwärts zu stürmen.

Ja, und jetzt lächelt es in mir. :-) Die verletzliche zarte kleine Louise will schließlich nur wahrgenommen und in den Arm genommen werden. Sie braucht besonders viel Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Sie ist liebesbedürftig. Und wenn ich ihr das gebe, dann schenkt sie mir so viel zurück.

Jetzt ist da wieder dieser stille Frieden, den ich seit einigen Monaten so oft empfinden darf. Ein seeliger innerer Frieden, manchmal leicht melancholisch, manchmal freundlich-freudig, immer ein wenig „weggetreten“ aus der Alltagswelt.

Es war ein wunderbarer Abend. Ich bin dankbar, daß ich so wunderbare Begegnungen erleben darf.

Mein Abschluß-Tanz entwickelte sich so: erst war ich klein zusammengekauert, mit etwas Scham und Traurigkeit, versteckte mich vor den Zuschauern. Ich blieb lange in Umarmung mit mir, dann öffnete ich langsam die Augen und mich der Welt. Ich ging zu den Menschen und schenkte jedem ein Lächeln – und alle schenkten sie mir eines zurück. Zuletzt öffnete ich mich noch zu kraftvollen Drehungen: hier bin ich, schaut mich an, ich bin wirbelnde Energie. Am Schluß verblieb Stille. Mein eigener Kommentar zu meinem Erleben war nur: „Schön“ – denn was gibt es da viel zu sprechen?

Nachher hilft das Reden auch, der Austausch über die Erfahrungen des Abends, wenn jeder in der Runde seine Eindrücke schildert, aber das intensive Erleben läßt sich kaum in Worte fassen. Es bleibt die wortlose Sprache des Tanzes, und die schwingt noch nach.

Nach dem Tanzen war bei mir viel Traurigkeit – ich suche anscheinend doch noch nach der fehlenden Vaterfigur, bei der ich mich anlehnen kann, das machte mich traurig. Jetzt ist die Traurigkeit gelöst, ich habe das suchende Kind in den Arm genommen, bin mir selber Mutter und Vater. Stiller Friede, leises Glück, Dankbarkeit. :-)

Und wer bin ich nun? Keine Ahnung. ;-) Besser nichts benennen, nur genießen...

3 Kommentare:

  1. Klingt schön und erinnert mich an eine ehemalige Therapeutin die auch so ähnlich gearbeitet hat, allerding erst im Einzel und keine Gruppe. Mir half das viel mehr, als das ewige reden, denn da bleibt man im Kopf. Aber wenn der Körper mit einbezogen wird, da staunt man oft, was da kommt. :-)
    Gute Zeit Dir!

    AntwortenLöschen
  2. das hört sich gleichzeitig spannend traurig und auch schön an.
    ich wünsche dir ein schönes wochenende!!!

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Regenfrau,
    liebe Sania,

    danke für Eure Kommentare, ich habe mich sehr gefreut.

    Ja, diese innere Arbeit über die Tanz-Therapie hilft sehr viel. Sie umgeht den Kopf, geht direkt über Körper und Seele. Das spätere Reden über die Erfahrung holt sie ins Bewußtsein, aber ist mir manchmal schon zu viel.

    Es passiert gerade sehr viel bei mir, ich hatte im Anschluß ein traumhaftes Wochenende.

    Liebe Grüße,
    Louise

    AntwortenLöschen