Montag, 12. April 2010

glückliche Stille

Heute hatte ich im Meditationskurs Gefühle von Freude, durchmischt mit dem gewohnten Schmerz. Es war so, als wolle sich die gestaute und lange unterdrückte Lebensfreude endlich einen Weg an die Oberfläche bahnen, und der Schmerz war auch eher die Erleichterung, daß ich jetzt so dicht dran bin.

Die Gedanken und Gefühle drängen sich immer um die kurzen Momente der Stille. Meine Konzentration ist noch schwach. Ich spüre die innere Leere und Weite, aber ein Teil meiner Aufmerksamkeit ist meist auch bei dem Geschwätz im Kopf, auch wenn es langsam weniger wird, vor allem weniger aufdringlich wird.

"Je leerer es wird, desto schöner wird es", durchschoß es mich heute. Worte sind leider viel zu flach, um das auszudrücken, was ich wahrnehme, wenn ich zur Ruhe komme. Die Wahrheit kann allenfalls darin mitschwingen - wenn die Worte von Herzen kommen.

Das innere Lächeln, der innere Frieden war sehr stark und ist heute abend anhaltend bei mir.

Zu Hause habe ich einen Satsang-Mitschnitt gesehen und mich ein wenig über die kopfigen Fragen gewundert. In meiner heutigen Stimmung würde ich bei einem solchen Anlaß nur die Stille und das Zusammensein genießen wollen, für Alltagsprobleme wäre da kein Platz. Aber andere Menschen, andere Lebenssituationen, andere Bedürfnisse, das ist ok.

Ich habe mein ganzes Leben lang diese kostbaren Momente der Stille gesucht, ohne zu wissen, WAS genau ich suche. Leider hat mir bis vor wenigen Monaten niemand erklärt, wie die Zusammenhänge sind, sonst hätte ich schon viel früher zu mir selbst zurückgefunden.

Wenn früher in dem Chor, in dem ich einige Jahre lang mitsang, Taizé—Lieder gesungen wurden, habe ich die meditative Melodieführung und Ruhe genossen – dem Chorleiter war das dagegen zu langweilig, und so wurde zu hastig gesungen, zu wenige Wiederholungen, oder andere Formen von Abwechslung hineingebracht, um die es doch gerade NICHT geht! Selbst auf offiziellen Taizé-CDs, die ich neulich bestellte, haben Solisten die stimmliche Oberhand und zerstören meines Erachtens gerade das Meditative, das Stille, das Heilige.

Ich war auch einmal in Taizé selbst, vor vielen Jahren. Ich habe das gemeinsame meditative Singen in der Kirche genossen, aber auch da störten dann zu viele Unterbrechungen den Frieden. Ich verstand damals nicht, warum viele Besucher die Stille nicht genießen konnten und sich auf dem Gelände über so belangloses Zeug unterhielten. Später suchte ich nach Taizé-Gruppen in Deutschland, aber hier war die meditative Stille erst recht nicht wiederzufinden, es wurde zu viel „geschwätzt“ (d.h. wohlmeinend gebetet, aber eben mit Worten, die doch nur störten). Ich habe damals leider nicht gewußt, was genau dieses intensive Glücksgefühl auslöst.

Dabei ist es so „einfach“. Man muß „nur“ aus dem Verstand rausgehen und schon wächst dieses Gefühl von innerem Frieden, manchmal gesteigert bis zur Ekstase. Ich war auch mal vor sehr langer Zeit bei einem Taizé-Jugendtreffen in einer Großstadt. Zwischen etwa 100.000 Teilnehmern gab es nach meiner Erinnerung vielleicht 50 junge Menschen, die eine Woche lang geschwiegen haben, ich war dabei. Das war eine unglaublich irre Erfahrung: ich war mittendrin in Menschenmassen in verstopfen U-Bahnen, auf dem Messegelände, wo in großen Hallen die Gebete stattfanden, auf Parkdecks und in Parks, wo die einfachen Essenrationen bei –18°C unter freiem Himmel ausgegeben wurden. Ich war dabei in meinem eigenen Mikrokosmos, weil ich eisern geschwiegen habe. Ich war so unglaublich glücklich, es war Ekstase pur. Das war vermutlich die beste Woche meines Lebens, sogar noch ein wenig besser als Verliebtsein (weil völlig frei von quälender Sehnsucht).

Aus heutiger Sicht würde ich sagen: das war meine erste Erleuchtungserfahrung, ich hatte nur leider überhaupt keine Ahnung, daß es so etwas gibt und erst recht nicht, was das sein könnte.

Die Kirche enttäuschte mich nachfolgend immer mehr, zu selten fand ich dort, was ich suchte. Zudem schaltete der Verstand sich ein und kritisierte berechtigterweise diverse Mißstände im Kirchenapparat. Ich trat aus der Kirche aus (mit Überzeugung) und verlor leider mit der Zeit auch den inneren Frieden.

Von meinem Weltbild und Menschenbild bin ich tatsächlich bis zur äußersten Gottferne gegangen, bevor der Punkt der Umkehr kam: ich glaubte, ich müsse mich im Interesse der Freiheit mit dem materialistischen Gedanken anfreunden, daß unsere Erde nur eine massive Kugel abbaubarer Rohstoffe ist, an deren Oberfläche wir gerade mal gekratzt haben und die einfach weiter zerstört und kaputtgenutzt werden kann.

Das tat mir selber sehr weh, aber ich glaubte damals (vor etwa zwei Jahren), zur Freiheit des Individuums gehöre der Abschied von jeder Naturträumerei dazu. Gott sei Dank habe ich dann wohl gespürt, daß das NICHT die Wahrheit sein kann.

Heute weiß ich wieder: Mutter Erde ist lebendig, so wie alles in diesem wunderschönen Universum. Gott sei Dank habe ich auch die Phase hinter mir, in der mir alles nur noch wie ein leerer hohler Traum erschien, bar jeder Substanz. Wir dürfen unser materielles Leben genießen, und wir dürfen auch die Schätze der Welt nutzen, aber ohne sie dabei nachhaltig zu zerstören.

Viele Menschen suchen unberührte Natur. Vermutlich geht es den meisten dabei so, wie es mir jahrelang ging: sie wissen nicht, was sie suchen. Heute weiß ich: sie suchen diese Augenblicke der tiefen inneren Verbindung, wenn das, was wir vermeintlich außen wahrnehmen, uns sanft zu uns selbst zurückführt, so daß wir zumindest ahnend diese innere Tiefe spüren, aus der alles kommt, auch wir selbst.

Ich lese bei verschiedenen spirituellen Autoren, daß nach einer ersten Erleuchtungserfahrung eine fortwährende Vertiefung der Erfahrung möglich ist, die niemals ein Ende erreicht, weil es immer noch weitergeht. Ich bin unglaublich dankbar, daß ich vermutlich erst in der Mitte meines Lebens bin und noch so viele weitere Lebensjahre vor mir habe, in denen ich diese Stille vertiefen kann. Ich erfreue mich an meinem Leben. Ich freue mich JETZT! Ich bin sehr glücklich!

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