Donnerstag, 4. November 2010

unnatürliche Technik

In der vorletzten Nacht hatte ich einen Traum, in dem es verschlüsselt, aber recht klar, um sexuelle Bedürfnisse ging. Anscheinend versteckt sich hinter meiner Angst vor Nähe die Sehnsucht nach mehr Nähe. Ob dieses Thema nun von der Enge im Büro aufgewirbelt wird? Vielleicht hat es damit auch gar nichts zu tun und steht aus anderen Gründen derzeit zur Verarbeitung an.

Am Arbeitsplatz bessert sich meine Lage nur langsam. Nach wie vor fahre ich mit schlechten Gedanken und Gefühlen dorthin – viel lieber wäre ich woanders. Wenn ich dann 1-2 Stunden dort bin, gewöhne ich mich und fühle mich sogar leidlich wohl. Mir ist heute sehr klargeworden, daß ich mich scheinbar wohlfühle, wenn ich mich gut in die mir zugedachte Rolle einpasse, wenn ich unkritisch alles mitmache, wie es von der Firmenleitung vorgegeben wird.

Das Mitschwimmen im Strom „belohnt“ den Angepaßten mit scheinbar guten Gefühlen. Aber es ist eben nur falscher Schein, nur Oberfläche. Es geht nur, wenn ich kritisches selbstverantwortliches Denken und Fühlen einstelle oder verdränge. Sobald ich meine eigene Wahrnehmung zulasse, fühle ich mich unwohl, eingeengt, bevormundet.

Ein Beispiel dafür: die Wegeflächen im Gebäude, Aufzüge, Treppen und auch die sanitären Einrichtungen haben keine Lichtschalter. Das Licht wird vermutlich zentral ein- und ausgeschaltet und zwischendurch mit Hilfe von Bewegungsmeldern gesteuert (die haben auf mich eine ähnliche Wirkung wie Überwachungskameras, weil die „Augen“ auch so ähnlich aussehen). Wer sich zu lange nicht bewegt, sitzt im Dunkeln (das gilt auch in den Büros, obwohl da das Oberlicht zumindest selbständig ganz ausgeschaltet werden kann). Ich finde sowas nicht praktisch und bequem, sondern ich fühle mich entmündigt, wenn mir nicht einmal zugetraut wird, einen Lichtschalter zu betätigen. Was für ein Kontrast zu dem Hochgefühl beim Entzünden eines Feuers vor einigen Wochen beim Wildniskurs! Der Mensch möchte nicht die Kontrolle über zentrale Lebensfunktionen an Maschinen abgeben, ich zumindest nicht, ich fühle mich dann unfrei, versklavt an Technik, die zudem unzuverlässig sein kann.

Ich fühle mich auch nicht sicher, wenn alle Türen nicht nur in das Gebäude, sondern auch heraus und zwischen den Stockwerken elektronisch gesichert sind und (teilweise) mit meinem (RFID-) gechipten Firmenausweis freigeschaltet werden müssen. Ich fühle mich bei sowas nicht geschützt, sondern eingesperrt (dem Vernehmen nach sollen demnächst sogar die Aufzüge nur noch funktionieren, wenn man sich in diesen identifiziert, gleiches gilt bereits für die Drucker/Kopierer und die Kaffeeautomaten). Wenn die Elektronik, das Stromnetz oder mein Ausweis versagen, dann komme ich dort womöglich nicht mehr raus. Ich habe schon darüber nachgedacht, ob ich ein paar Notutensilien im Büro hinterlegen sollte: Taschenlampe, Nothammer zum Zerschlagen von Scheiben, evt. kleiner Wasservorrat und Notnahrung (z.B. für das Szenario eines längeren Stromausfalls, da müßte ich dann wohl nach dem Ausbruch aus dem „Gefängnis“ zu Fuß 25km nach Hause laufen). So eine Minimalvorsorge gibt mir ein wenig Selbstverantwortung zurück. Wenn ich solche Themen bei Kollegen anspreche, merke ich, wie sehr sich die meisten auf „die da oben“ verlassen und selber nicht nachdenken. Allerdings fühlte eine Kollegin sich auch an einen Horrorfilm erinnert, in dem die Technik sich irgendwann gegen die Menschen wendete...

Bei mir ist das Unwohlsein über die bestehende Situation ein Zeichen dafür, daß noch Leben in mir steckt, daß noch nicht alles abgetötet ist.

Der Zustand, in dem ich diesen Schmerz nicht spüre, ist wie eine leichte Hypnose. Der Bildschirm hypnotisiert mich, ähnlich wie ein Fernseher. Ich sitze manchmal nur dumpf davor, bewege mich kaum noch und nehme irgendwelche Informationen auf. Es fällt dann schon schwer, mal aufzustehen, um mir die Füße zu vertreten – auch, weil ich dafür immer so eng an der Kollegin vorbeigehen muß, daß ich es als Eindringen in ihren Raum empfinde.

In der Mittagspause war es heute eine große Erleichterung, Wind wahrzunehmen, halbwegs frische Luft in Bewegung. Auch die paar Bäume in der Umgebung mit einigen Vogelstammgästen haben mir so gutgetan. Ah, es gibt ein Leben außerhalb des Büros...

Im Bürogebäude ist die Atmosphäre sehr steril und unlebendig. Das wird sich im Laufe der Zeit sicher noch etwas bessern, aber es ist gut, jetzt ganz bewußt diesen Kontrast wahrzunehmen. Wenn ich eine realistische Alternative sehen würde, dann würde ich diese Arbeit beenden. Sie macht mich seelisch und körperlich krank. Und nicht mal der Geist ist immer angemessen gefordert. Trotzdem fühle ich mich abends sehr erschöpft, ausgelaugt. Und sehr lang sind diese Arbeitstage (mit Fahrt 11 Stunden), es gibt kaum Freizeit.

Für das nächste Jahr ist diese Arbeit nur mein Brotverdienst, um in der Weiterbildung herauszufinden, ob es einen neuen beruflichen Weg für mich geben könnte.

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