Sonntag, 22. November 2009

Ich bin nicht wichtig

"Ich bin nicht wichtig". Während mein Gehirn unablässig diesen Satz repetierte (denn das Gehirn glaubt immer, irgendetwas "Kluges" beitragen zu müssen), spürte ich vorgestern, wie eine Veränderung in mir vorging. Es war beinahe körperlich zu spüren. Es fühlte sich an, als ob sich in meinem Gehirn etwas umstrukturiert. Es war mit leichten Schamgefühlen verbunden.

Die Einsicht, die dieser Umstrukturierung voranging, war an und für sich für mich nichts Neues: ich bin total egozentrisch, ich kreise ständig nur um mich selbst. Ich nehme mich zu wichtig. Ich will ständig Beachtung. Wenn ich keine positive Beachtung bekomme, ist mir negative Beachtung fast genauso lieb. Hauptsache Beachtung. Das Schlimmste ist: KEINE Beachtung. Dann fühle ich mich nicht mehr existent, das ist dann so wie Sterben.

Ich habe in den letzten Monaten aus der Selbsterkenntnis einen Ego-Trip gemacht. Das ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Aber hier schien es für mich ja endlich mal legitim zu sein, mich unablässig nur mit mir selbst zu beschäftigen. Denn bei der Selbsterkenntnis schaue ich ja in mich hinein.

Ich bin da in einer Falle gelandet, habe die Selbsterkenntnis genutzt, um das Ego partiell weiter aufzublähen, anstatt konsequent die Luft rauszulassen.

Das erkannte ich vor zwei Tagen und seitdem steuere ich dagegen. Das Gehirn mit seinem unablässig repetierten Mantra "Ich bin nicht wichtig" (womit es sich natürlich wahnsinnig wichtig macht, denn die Sätze "Ich bin wichtig" und "Ich bin nicht wichtig" wirken genau gleich, das Unterbewußtsein verschluckt das "nicht") und mit Ideen, wie sich das in eine Übung umsetzen ließe. Beispielsweise könnte ich mir ein Schild mit diesem Text umhängen und damit über einen belebten Platz laufen – ich würde das fertigbringen, aber damit würde ich mich ja auch nur wieder wichtig machen, weil ich die Aufmerksamkeit auf mich lenken würde. Ich habe auch darüber nachgedacht, ob ich mir mal ein paar Wochen Schweigen auferlegen sollte, aber auch das wäre ja wieder etwas "Besonderes", womit ich mich wichtig machen würde.

Nein, die Aufgabe ist hier nicht eine einmalige Aktion, sondern eine dauerhafte Veränderung der Einstellung. Auf diesem Feld habe ich mich in diesem Jahr rückwärts entwickelt.

Ich habe das Gespräch mit einem nahestehenden Menschen gesucht, der in diesem Jahr besonders unter meiner Egozentrik gelitten hat. Das war für mich sehr ernüchternd. Ich habe dabei eine weitere Maske abgelegt und sehe jetzt wieder etwas klarer. Ich werde ab sofort wieder mehr Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme zeigen. Es gibt nicht nur mich auf der Welt, es gibt auch noch andere Menschen. Mit meiner Egozentrik vergifte ich meine Beziehungen zu anderen Menschen. Das kann ich nun hoffentlich ändern, nachdem ich diesbezüglich genug ernüchtert wurde in den letzten Wochen.

Vor kurzem dachte ich noch, mein größtes Problem seien meine ständigen Schamgefühle und die Empfindung "ich bin nicht richtig, mit mir stimmt irgendwas nicht". Unter diesen Schamgefühlen versteckte sich aber die Egozentrik: "Ich bin der Mittelpunkt der Welt, das ganze Universum dreht sich nur um mich, ich bin wahnsinnig wichtig". Ich glaube, es kommt daher, daß ich als Erstgeborene und erstes Enkelkind der Familie uneingeschränkte Aufmerksamkeit genoß – bis mein jüngerer Bruder geboren wurde, worauf ich mit starker Eifersucht reagiert haben soll.

Meine Aufgabe ist jetzt, einen Mittelweg zu finden: ich bin so, wie ich bin, total richtig und vom Leben gewollt, aber ich bin nicht wichtiger oder unwichtiger als alle anderen Menschen. Ich bin nichts Besonderes. Ich bin einfach ein Mensch wie Milliarden andere auch. Es gibt keinen Unterschied.

Wenn ich mich nicht mehr wichtig mache, sondern einfach normal meinen Alltag lebe (und da mal einiges in Ordnung bringe, was ich stark vernachlässigt habe), dann befürchte ich gähnende Langeweile. Ich liebe die Extreme. Normalität ist langweilig, das ist meine Befürchtung und mein Widerstand. Ich werde es ausprobieren müssen, ob es wirklich so ist.

Ich möchte die Scheinwichtigkeit meines Ichs jetzt aufgeben. Seit heute morgen versuche ich es mit einem neuen Mantra, damit das Gehirn was zu tun hat, wenn es schon keine Ruhe geben mag: "Ich laß mein Ich jetzt los."

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