Sonntag, 29. November 2009

Ich-Illusion

Ich hatte einige Zeit keinen Zugang zu einem Rechner, deshalb möchte ich jetzt etwas zu den letzten 1-2 Tagen nachtragen. Ich habe viel in "Reines Sein" gelesen. Die erste Auswirkung war, daß ich die vorige innere Gelassenheit verließ und in quälende Gedankenschleifen fiel. Etwas paradox, daß ein Buch, das vom Sein handelt, mich von meinem Sein wegbrachte. Irgendetwas an diesem Buch lag mir völlig quer.

In der Folge befielen mich auch erneute Zweifel, ob ich mit meiner Bewerbung für die Phönix-Schule das Richtige tue. Und ich fragte mich ebenfalls erneut, ob die Privatsphäre nicht doch schützenswert ist, mein ganzes bisheriges Leben lang war mir das schließlich sehr wichtig. Und mit diesem öffentlichen blog fühle ich mich zeitweise sehr ausgeliefert, auch wenn die Öffentlichkeitswirkung bisher sehr gering ist.

Die innere Krisenstimmung hielt etwa 24 Stunden an, während derer ich immer wieder einzelne Abschnitte in dem Buch nachlas und zu verstehen versuchte. Denn schon das gedankliche Nachvollziehen fällt mir sehr schwer, von vergleichbaren Erfahrungen ganz zu schweigen.

Schließlich stieß ich auf eine Beschreibung, die ich bisher übersehen hatte: Gerd-Lothar Reschke beschreibt dort sehr detailliert seine persönliche Erfahrung, wie sein Ich sich in einem längeren Prozeß zeitweilig ganz aufgelöst bzw. als nicht existent herausgestellt hat. Mich hat seine Schilderung sehr berührt, und in dem Moment ist der Funke übergesprungen. Es ging mir schon mit dem ersten Band der Reihe so. In dem Moment, in dem ein Mensch authentisch seine eigene Erfahrung darstellt, wird die ganze Theorie konkret und handfest.

Es geht hier nicht um eine neue Weltanschauung, sondern es geht um konkrete Erfahrungen in der Realität, die prinzipiell auch von jedem anderen Menschen in ähnlicher Weise wiederholt werden können. Ein individuelles Ich gibt es demnach nur im Rahmen der Rolle, die wir hier in dieser Welt spielen. Beim Tod lassen wir dieses Ich - das sich dann als Illusion erweist - los, einzelnen Menschen gelingt dies aber schon früher, und sie leben dennoch weiter!

Für mich ist das natürlich immer noch Theorie, da ich keine entsprechenden Erfahrungen gemacht habe, aber das trifft ja auch auf vieles andere "Wissen" zu. Wenn ich eine geschilderte Erfahrung für glaubwürdig und authentisch halte (und das ist hier der Fall), dann kann ich sie für mich als Theorie übernehmen und versuchen, mich in eine Richtung zu bewegen, in der ich sie mit eigenen Erfahrungen verifizieren kann.

Bisher habe ich mich an die Vorstellung geklammert, daß es so etwas wie eine individuelle Seele gibt, die sich im Verlauf des Lebens (oder mehrerer Leben) weiterentwickelt auf ein Ziel hin. Und so müht man sich damit ab, sich selbst weiterzuentwickeln und zu verbessern, und scheitert doch immer wieder an den eigenen Zielvorstellungen.

Ich habe jetzt erst verstanden, warum der Verzicht auf die Vorstellung eines individuellen Selbst, einer individuellen Seele, auch einen gewissen Trost beinhaltet (und nicht nur sinnlose Leere, wie ich bisher befürchtete): wenn mein aktuelles ICH, meine aktuelle Persönlichkeit, nur eine Rolle ist, die ich während dieses Lebens spiele, die ich aber nicht selber BIN, dann entlastet mich das von dem ganzen Weiterentwicklungszwang. Es entlastet mich davon, etwas werden zu müssen, was nicht zu meiner Rolle paßt. Körper und Persönlichkeit sind nicht beliebig formbar, sondern nur eingeschränkt beeinflußbar. Wenn ich mich mit beidem nicht identifzieren muß, da ICH SELBST außerhalb bin, in einer ganz anderen Ebene, dann versöhnt mich das mit meiner Rolle. Es löst meine inneren Widersprüche schlagartig auf.

Ich kann mich jetzt einerseits darauf konzentrieren, meine Rolle gewissenhaft weiterzuspielen (was ich bisher in Teilen verweigert habe, weil mir diese Rolle so schlecht gefällt), und kann andererseits innere Distanz zur Rolle finden und selber nach einer Erfahrung suchen, die mich in Kontakt zu meinem WAHREN SELBST bringt, das die Einheit ist, und kein getrenntes Selbst.

Ich bin jetzt also wie eine Schauspielerin, die auf der Bühne in eine bestimmte Rolle schlüpft und diese so gut wie möglich auslebt, die nach dem Aufführungsende diese Rolle aber wieder ablegt, und zurück zu sich selbst findet. Diese Vorstellung, die mich bisher abgeschreckt hat, finde ich jetzt befreiend.

Die starke Sehnsucht, die mich seit Monaten zur Selbsterkenntnis antreibt, deute ich jetzt als Sehnsucht nach Erkenntnis meines wahren Selbst. Was ich bisher für "Selbsterkenntnis" gehalten habe, sollte ich besser mit "Ich-Erkenntnis" benennen, denn da ging es immer darum, einzelne Schichten der Ich-Persönlichkeit abzustreifen oder besser zu durchschauen.

Wenn das Selbst aber völlig außerhalb ist, dann habe ich hier zwei getrennte Vorgänge. Einmal geht es immer noch darum, dem ICH weiter auf die Spur zu kommen, um möglichst natürlich und ungekünstelt die Ich-Rolle weiterzuspielen (und sich diese nicht unnötig kompliziert zu machen). Und zum anderen geht es darum, zu MIR SELBST heimzukommen. In einzelnen Erkenntnisblitzen kenne ich das Gefühl von Heimkommen zu mir selbst bereits. Ich habe dafür zeitlebens bestimmte Naturerfahrungen gesucht, die schwierig zu erlangen waren. Jetzt suche ich das Heimkommen zu mir selbst in oder am Rande meines ganz normalen Alltags.

Als Hinweise, wie ich zu meinem wahren Selbst finde, habe ich bisher verstanden: Ablösung von der Identifikation mit dem ICH, Ablösung insbesondere vom Verstand, Ablösung vom Körper, Ablösung auch von der Identifikation mit dem Beobachter (daran scheine ich noch zu haften), und dann Leben im Hier und im Jetzt.

Da das wahre Selbst aber außerhalb von Raum und Zeit ist, kann im Hier und Jetzt trotzdem nur die Rolle gelebt werden, oder habe ich da was mißverstanden? Ich werde mich weiter um ein Verständnis bemühen. Zunächst bin ich sehr erleichtert, daß ich einen ersten Zugang zu dem Buch "Reines Sein" gefunden habe, und daß ich eine neue Sinn-Perspektive für mein Leben erahne.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen