Mittwoch, 25. November 2009

Was ist das Leben?

Gestern habe ich meinem Inneren Kind versprochen, daß ich es niemals alleinlassen werde. Das erzeugt in mir ein gewisses Unbehagen, denn das gilt natürlich nur solange, wie ich das ICH nicht ganz aufgegeben habe.

Als ich anfing, mich für die Phönix-Schule für Selbsterkenntnis und Exzellenz zu interessieren, war das einer meiner größten Widerstände. Ich will authentischer leben, und ich will meine bestehenden Probleme lösen, aber ich will auf mein ICH eigentlich nicht verzichten. Schon gar nicht, wenn ich das ICH gegen ein NICHTS eintauschen soll.

Ich habe seitdem daran gearbeitet, und ich kann es mir jetzt als Experiment vorstellen: ich laß das ICH mal versuchsweise los (wenn es denn gelingt, bisher gelingt es ja nicht) und schaue, was passiert. Als einmalige "Erleuchtungserfahrung" bestimmt ganz interessant. Und dann kann ich ja immer noch entscheiden, ob ich weitergehen will.

Gestern abend habe ich im Buch "Reines Sein" gelesen ("Schamane in Deutschland, Band III", Gerd-Lothar Reschke). Dieses Buch ist sperrig. Es paßt in meine Rezeptionsorgane nicht hinein, so als wollte man einen eckigen Klotz in ein rundes Loch pressen. Es ist gefährlich. Wenn ich es in mir aufnehmen würde, könnte es mich tatsächlich verändern. Es ist anders. Es stellt alles auf den Kopf, auch das, was ich aus Band I der Reihe gerade erst gelernt habe.

Mit dem WEG kenne ich mich aus. Ich weiß, wie ich mich mit mir selber, mit meinen Schwächen und unangenehmen Gefühlen im inneren Abgrund konfrontiere. Ich weiß, wie ich auf dem WEG vorwärtsgelange, wie ich alte verkrustete Verhaltensweisen nach und nach aufweiche und ablege.

Und jetzt lese ich, daß das in gewisser Weise alles falsch ist, daß es überhaupt nicht notwendig ist, an sich selbst zu arbeiten, daß es ein Umweg ist. Und daß man viel schneller zum Ziel gelangt, wenn man einfach alles losläßt und sich nur die Frage stellt: "Wer bin ich? Wer ist der Handelnde?"

Ich gelange ja schon bis zum Beobachter. Ich kann zeitweilig wahrnehmen, daß ich nicht mein Verstand bin. Aber ich nehme den Beobachter immer noch als ICH war, ein anderes ICH als das Denk-Ich des Verstands zwar, aber auch ein ICH. Gestern habe ich etwas gelesen, das dazu zu passen scheint: manche Menschen identifizieren sich mit dem Beobachter, um so weiter an der Ich-Illusion festhalten zu können. Das scheint bei mir der Fall zu sein. Und dieser Zustand ist ja auch ganz nett. Warum sollte man weitergehen, wenn man sich damit wohlfühlt? Ich gehe den WEG derzeit ja vor allem, weil ich einen starken Leidensdruck aus ungelösten Problemen habe. Wenn ich die nicht mehr hätte, würde ich vielleicht nicht weitergehen.

Es gibt natürlich noch meine Sehnsucht nach dem Sinn. Und meine Sehnsucht nach Wahrheit. Es ist aber sehr hart, nur für die vage Aussicht, eine möglicherweise ganz unangenehme Wahrheit zu erkennen, alles aufzugeben. Ich mag mir nicht den Boden unter den Füßen komplett wegziehen lassen. Ich mag nicht den Halt wieder verlieren, den ich doch gerade erst mühsam zu erringen versuche.

Dieses Buch scheint mir jeden Anhaltspunkt wegzunehmen. Und doch scheint es andererseits so einfach zu sein. Ich könnte auch alle Bücher ein- für allemal zuklappen und einfach LEBEN.

Soweit ich die Aussagen in "Reines Sein" verstanden habe, ist es mit dem menschlichen Leben so: das Leben lebt sich selbst nahezu vollautomatisch und läßt sich nicht beeinflussen. Es gibt kein ICH, das lebt, sondern das Leben lebt von selbst. Und dann gibt es einen Beobachter, der außerhalb dieses Lebens steht und alles unbeeinflußt beobachtet: mein Leben, Dein Leben und das Leben überhaupt.

Aber wo ist da der Sinn? Wenn der gesamte Mensch nur eine programmierte Maschine ist, die das ausführt, was der Programmierer sich ausgedacht hat, und absolut alles schicksalhaft bereits vorgegeben ist, was soll das dann? Vielleicht habe ich ja etwas mißverstanden, aber so ist bisher mein Verständnis dieses Buchs (mein intellektuelles Verständnis, meine Erfahrungen passen bisher nicht dazu). Wenn der freie Willen des Menschen nur dazu dient, das sowieso Gegebene entweder hinzunehmen oder abzulehnen, was letztlich aber überhaupt keinen Unterschied macht, wozu dann das Ganze? Was hat sich der Programmierer dabei gedacht, als er diese menschlichen Roboter geschaffen hat? Weil er Freude an der Inszenierung des menschlichen Schauspiels hat?

Was ich nachvollziehen kann: ICH atme nicht, sondern es atmet. Mein Körper atmet. Das ist ein unbewußter Vorgang, so wie viele andere Körpervorgänge unbewußt sind. Genauso kann ich seit einigen Wochen nachvollziehen: ICH denke nicht, sondern es denkt. Mein Gehirn denkt und brabbelt pausenlos vor sich hin. Aber auch, wenn ICH das nicht beeinflusse, so gehört es doch zu MIR, es ist MEIN KÖRPER.

Und nun lese ich, daß das die nächste Illusion ist: das Ich identifiziert sich mit dem Körper. Auch der Beobachter ist doch in meinem Körper. Das glaube ich zumindest, und so nehme ich es wahr. Der Körper wird gesteuert vom Gehirn, so lehrt es die Naturwissenschaft. Aber der "göttliche Funke", der "Lebensatem", der kommt nicht von der Körpermaschine. Ich war früher religiös und bin es in gewisser Weise immer noch. Es gibt irgendetwas außerhalb der materiellen Welt, was dieser erst das Leben einhaucht. Das habe ich immer geglaubt. Aber Glauben ist natürlich nicht Wissen.

Und nun soll es angeblich möglich sein, nicht auf der Basis von Glauben, sondern von Wissen, aus eigener Erfahrung zu erleben, daß das Bewußtsein außerhalb des eigenen Körpers ist. Das ist unfaßbar.

Selbst wenn mir das möglich wäre, was hätte ich davon? Mein ICH müßte immer noch die ihm zugedachte Rolle weiterspielen, bis zum Ende, bis zum Tod. Was ist der Sinn meines Lebens? Mein Schicksal anzunehmen und meine Rolle wenigstens gut zu spielen, wenn ich ihr doch nicht entweichen kann? Das ist irgendwie total unbefriedigend.

Was bedeutet der Weg aus dem Gefängnis? Bedeutet Freiheit nur zu erkennen, wie aussichtslos die Lage ist? Oder gibt es dann tatsächlich auch eine andere Handlungsfreiheit? Kann ich dann meine Rolle verlassen? Geschieht dann etwas anderes, als der Programmierer vorhergesehen hat? Verändert sich dann etwas an dem inszenierten Schauspiel?

Darauf habe ich noch keine Antwort gefunden, auch keine theoretische. Was ist eigentlich das Ziel des Wegs? Was ist Freiheit wirklich? Ist das überhaupt ein erstrebenswerter Zustand? Gibt es da irgendetwas, das mich motiviert, den Weg weiterzugehen? Oder bleibe ich doch lieber im Gefängnis?

Wenn Freiheit bedeuten würde, daß ich meine festgelegte Rolle verlassen kann, daß ich die Inszenierung verändern kann, dann wäre das umwälzend. DAS würde mich motivieren!

Nun fällt mir etwas auf, das ist für mich ganz neu: was ich oben mit "göttlicher Funke" oder "Lebensatem" beschrieben habe, das ist nichts anderes als Bewußtheit! Eine völlig neue Einsicht. Die muß ich jetzt erstmal sacken lassen. Bewußtheit ist das, was das Leben erst erzeugt. Ohne Bewußtheit kein Leben. So ganz begriffen habe ich es noch nicht, ich werde das in mir bewegen. Das haut mich jetzt irgendwie vom Hocker: ist Bewußtheit das, was den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmacht?

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