Sonntag, 28. März 2010

Esoterik in der Kritik

Beim Entrümpeln habe ich einen Stapel Zeitschriften "Psychologie heute" aussortiert. Mir sprang dabei in der Ausgabe vom Juli 1997 (ja, so lange hat dieses Papier bei mir den Wohnraum verstopft) die Schlagzeile "Esoterik: Die Lehre der Selbstgerechten" ins Auge. Etwas amüsiert habe ich diesen Artikel gelesen. Wenn man neue Wege geht, ist es gut, sich auch mit Kritik auseinanderzusetzen.

Der Tenor dieses Artikels: Esoterik fördere rechtsextreme Denkweisen und weise faschistische Tendenzen auf, z.B. die Unterscheidung zwischen "besseren" (erleuchteten) und "schlechteren" (nicht erleuchteten) Menschen, das Führungsprinzip in spirituellen Gemeinschaften, Relativierung jeglicher Moral und Ethik. Die esoterische Aussage "Alles was ist, ist so, wie es ist, gut" sei eine Relativierung des Bösen in der Welt. Esoterik fördere die Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leiden usw. usf.

Ich will mich gar nicht damit befassen, was an der Esoterik-Szene generell kritikwürdig ist oder nicht, da kenne ich mich auch gar nicht aus. Mich interessiert hier, warum ich heute auf diesen Artikel gestoßen bin, was er mir sagen will und in mir berührt.

Zuerst stellte ich sehr zufrieden fest, daß mich diese Kritik gar nicht anficht, da ich sofort sah, wie sie völlig fern von jedem Verstehen kommt, rein aus dem Kopf. Aber zum Schluß wurde ich doch etwas nachdenklich. Die Gefahr, sich zu verirren, ist wirklich sehr groß, wenn man dabei ist, das eigene Selbst- und Weltbild völlig auf den Kopf zu stellen.

Daß Esoterik Selbstgerechtigkeit fördere, trifft auf mich nicht (mehr) zu. Merkwürdigerweise wurde in dem ganzen Artikel überhaupt nicht erwähnt, daß es aus esoterischer Sicht kein Ego gibt, schon gar kein erleuchtetes Ego, da Erleuchtung ja gerade bedeutet, die Illusion eines separaten Ichs zu erkennen. Allzu tief kann der Kritiker ja nicht ins Thema eingedrungen sein, wenn ihm diese zentrale Aussage entgangen ist.

Mit der Faschismus-Keule kann man alles kaputtschlagen, was man nicht versteht. Dagegen hilft am besten, zur eigenen inneren Wahrheit zu finden und dabei immer die Möglichkeit des eigenen Irrtums in Betracht zu ziehen. Absolute Gewißheit gibt es nicht, solange ich Mensch bin.

Ich war Anfang dieses Jahres auch schon einmal an einem Punkt, wo ich tief in mir wußte, daß alles gut ist, so wie es ist. Das war zutiefst beglückend. Es steht natürlich im Widerspruch zu meinem normalen menschlichen Erleben, aber diese Einsicht kommt ja auch von einer ganz anderen Ebene. Bei mir führt sie nicht dazu, daß ich mich für etwas besseres halte, sie führt auch nicht zur Abstumpfung gegenüber dem Leid in der Welt (das war bei mir nur vor diesem Erlebnis ganz kurzzeitig so, als mir alles Weltgeschehen nur noch als Traum erschien, ohne jegliche Substanz). Im Gegenteil: sie öffnet mein Herz, zuweilen empfinde ich eine tiefe Liebe gegenüber allen Menschen.

Esoterik, so wie ich sie für mich wiederentdeckt habe, ist das, wonach ich zunächst unbewußt, dann immer bewußter gesucht habe. Es ist Heimkommen zu mir selbst und zu innerem Frieden. Die Akzeptanz dessen, was ist, was meine Wirklichkeit ist, hindert mich nicht daran, dort etwas zu ändern, wo ich etwas ändern kann, wo das Leben mir Energie gibt, um etwas zu ändern. Das Leben ist offensichtlich nicht so gedacht, daß alle Menschen, die zur Wahrheit finden, danach nur noch in Höhlen sitzen und meditieren. Für einige Menschen ist das deren innere Berufung, für die meisten nicht. Für letztere gibt es durchaus noch etwas zu tun, damit die Welt ein noch besserer Ort wird – obwohl sie schon perfekt ist. Das ist zwar paradox, aber das muß ich ja auch nicht verstehen. ;-)

Wer dem eigenen Selbst folgt, folgt ja gerade nicht einem Führer. Das ist doch eher antifaschistisch. :-) Schwierig ist es natürlich in den Phasen, wo man Führung braucht, weil der eigene Kontakt zum Selbst noch nicht gefestigt genug ist. Ich bin schon vielen verschiedenen Menschen gefolgt, jeweils auf einem Stück meines Wegs. Manchmal hatte ich einen direkten Kontakt zu diesen Menschen, meist handelte es sich um Bücher oder andere Texte, die mir den Weg wiesen. Es bleibt nicht aus, sich anderen Menschen anzuvertrauen, wenn man etwas neues herausfinden will. Die eigene Erfahrung und das eigene Urteilsvermögen aus der Tiefe des Herzens müssen dann entscheiden, ob der eingeschlagene Weg für mich der richtige ist oder nicht.

Letztlich geschieht ja sowieso das, was geschehen soll. Ich sehe das Thema "freier Willen" derzeit so: ich muß so handeln, als ob ich einen freien Willen hätte, und dabei bewußt halten, das letztlich immer das Leben handelt, nicht ich als Individuum.

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