Montag, 24. Dezember 2012

wie obdachlos vor Weihnachten

So langsam durchschaue ich das Muster meiner Erfahrung in diesem Trainingsprogramm: in den Wochen, in denen ich die Laufstrecken steigern muß, geht es mir oft erstaunlich gut und ich bewältige die Erweiterung gut. In der Woche danach, wenn einfach das gleiche Programm nochmal wiederholt werden muß, breche ich ein – körperlich und psychisch. Gestern war ich auf einem Glücksgipfel – heute bin ich im Tal. Es ist kein tiefer Abgrund, aber schon ein Tal. Es war schwer, mich heute an Heilig Abend zu motivieren, erst den Workout im Wohnzimmer und dann das Laufen im Wald anzugehen. Ich stand später auf als sonst, um diesmal bei Tageslicht laufen zu können, falls es noch Glatteis im Wald gibt. Und tatsächlich war es auf den Waldwegen noch nicht ganz weggetaut, was das Laufen erschwerte (aber kenne ich ja schon). Nur 3 km heute, das sollte leichtfallen. Aber ich war gewappnet, und das zurecht. Es fiel mir erstaunlich schwer. Trotzdem habe ich mein Tempo steigern können und nur 22 Minuten gebraucht (bisher meist um die 24 Minuten). Danach ging ich nochmal zu meinem Loch im Waldboden. Es war mit einer Eiskruste bedeckt. Ich konnte kaum den Deckel anheben und sah nicht viel. Da habe ich wirklich eine Nacht verbracht? Ich weiß ja nun, daß ich da nochmal rein muß, es wird auch bei der Wiederholung kein Kinderspiel sein. Es wäre ja schön, wenn das Laub im Innern mal abtrocknen würde, aber dann müßte ich ständig in der Nähe sein, den Deckel bei trockenem Wetter abdecken und bei nassem Wetter wieder schließen. In der nächsten Zeit ist sowieso viel Regen angesagt, also wird da wohl nichts trocknen. Stattdessen werde ich mir Gedanken über neues trockeneres Isolationsmaterial machen, z.B. trockenes Gras oder vielleicht Schilf. Vielleicht kann ich daraus eine Art Matte weben, als Unterlage und Schutz vor der Feuchtigkeit. Außerdem brauche ich einen Eingang, den ich nicht ständig hochstemmen muß, während ich herein- oder herauskrieche. Am schnellsten zu realisieren wäre wohl, wenn ich mein Weidengerüst etwas verstärke und dann einige Astgabeln bereitlege, mit denen ich es bei Bedarf aufstützen kann. Es müßte so sein, daß ich es auch von innen absenken oder an einer Seite aufstützen kann. Das hätte den Vorteil, daß ich die Tarnung während meiner Abwesenheit und auch Anwesenheit aufrechterhalten kann. Die Abdeckung auf der Tür müßte ich dann befestigen, derzeit liegen da einige Plastiktüten und loses Laub. Stattdessen könnte ich dünne Zweige und Moos darauflegen, darüber dann wieder Laub und als Befestigung nochmal ein Weidengerüst – statt Weiden könnte ich auch die jungen Traubenkirschentriebe nehmen, die dort zwischen den Kiefern überall wachsen. Sie stehen sowieso viel zu dicht und sind im Wald auch nicht so gerne gesehen, weil sie überhand nehmen. So könnte es gehen. Mit diesen Überlegungen fühle ich mich doch gleich wieder besser im Jammertal. Ich verstehe so langsam, daß die Täler die notwendige Vorbereitung für den nächsten Gipfel sind. Lange Zeit habe ich geglaubt und gehofft, daß ich irgendwann durch die ganze Selbsterkenntnis einen Punkt erreiche, an dem es nur noch Glück oder zumindest Zufriedenheit gibt. Aber das ist eine Illusion des Egos. Der Preis für die Aufgabe der bequemen Langeweile ist mehr Intensität des Erlebens – in beide Richtungen. Mehr Glück, aber auch mehr Schmerz, Enttäuschung, Leiden. Ich lege jetzt die Grundlage für die nächste herausragende Erfahrung. Beim Training genauso wie bei meinen Wildnisaktionen. An Tagen wie heute ist es gut, etwas der Seele Schmeichelndes zu tun. Ich habe trotz Zeitnot vorhin ein Bad genommen (provisorisch in einem Kinderplanschbecken, denn eine Badewanne habe ich leider nicht), das hat mir sehr gutgetan. Ach ja, und in den letzten beiden Nächten habe ich wahnsinnig mein Bett genossen: trocken, warm, weich, wohlig, bequem. Absoluter Luxus! Ich bin sehr dankbar dafür. Es gibt genug Menschen auf der Welt, die nachts nicht in einem Bett schlafen können. Ach ja, war da nicht was mit der Weihnachtsgeschichte? Komisch, daß mir das jetzt erst auffällt. Während der Vorbereitung hatte ich mal daran gedacht, aber im Streß der Erfahrung nicht mehr: in gewisser Weise habe ich mich mit meiner Biwakübernachtung mit den Obdachlosen dieser Welt solidarisiert - ist natürlich was anderes, wenn man das freiwillig und nur für eine Nacht macht. Ich habe Hochachtung vor den Menschen, die das ganze Jahr draußen schlafen. Das ist nicht leicht! Das war nun meine persönliche Krippengeschichte. Das Kind, das noch nicht ganz geboren ist, ist ein weiterer innerer Anteil von mir, der sich entfalten will, wenn die alte Struktur zerbrochen ist. Mir scheint, ich liege noch in den Wehen, das Kind kommt verspätet - ich muß erst nochmal ins Biwakloch. Aber ein wenig darf ich heute doch schon Weihnachten feiern, denn ich kann sehr zufrieden sein mit meinen bisherigen Leistungen im Training und drumherum. Ich habe viel verändert in meinem Alltagsleben, das ist auch mein Beitrag zum Aufstieg von Mutter Erde in die 5. Dimension.

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