Dienstag, 12. Januar 2010

Der Weg der Hingabe

Das "Vater unser" werde ich für mich wie folgt abwandeln:

"Dein Wille geschehe. Meine tägliche Ernüchterung gib mir heute."

Seit gestern lese ich Abschnitte in "Sei, was Du bist" (Ramana Maharshi), die ich zuvor nicht gelesen habe. Und ich finde mich in ganz verblüffender Weise darin wieder.

Ich kann jetzt meine eigenen Zweifel beheben (und nur darum geht es: es geht um MEINE Zweifel, nicht um die Zweifel, die vermeintlich andere äußern: es gibt keine anderen!). Mein Weg war nicht der einer formalen Meditationspraxis und auch nicht der des Studiums der Schriften (da bin ich immer noch ziemlich ahnungslos).

Mein Weg war Hingabe, bhakti. Ich habe nicht gewußt, daß ich diesen Weg gehe. Ich sehe es erst jetzt im Rückblick. Allerdings hatte ich im Sommer schon einmal die Einsicht, daß es irgendeinen geheimnisvollen Sinn in meiner Lebensgeschichte gibt, daß die langen Jahre in der Isolation für mich notwendig waren, um etwas zu entwickeln.

Ich habe 10 Jahre lang meiner Lebensgefährtin gedient, ich habe meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse sehr stark für sie zurückgestellt. Ich habe mich ihr sehr stark hingegeben, wir waren zeitweise zu einer Einheit verschmolzen. Auf Dauer wurde ich davon aber immer depressiver, ich verlor mich in ihr. In diesem Jahr habe ich mich von ihr stark abgegrenzt, um mein eigenes Ich wiederzufinden. Dabei habe ich dann allerdings ein sehr hochmütiges spirituelles Ego entwickelt. Ich war ein richtiges Ekel, super arrogant und zeitweise größenwahnsinnig.

Seit einigen Monaten wird dieses Ego immer wieder sehr hart gedemütigt, durch verschiedene Menschen. Parallel dazu gebe ich mich immer wieder an andere (eben diese) Menschen hin, indem ich mich allen (vermeintlich äußeren) Widerständen zum Trotz öffne und alles von mir preisgebe. Unterdessen ja auch öffentlich.

Ich mache (fast) gar keine Unterschiede mehr. Jeder kann von mir alles wissen. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich schon meine (vermeintliche) Lebensgeschichte erzählt habe.

Das ist die Methode, um ein zum Hochmut neigendes Ego kleinzukriegen, der für mich genau passende Weg. Maximale Hingabe ("Dein Wille geschehe") und maximale Demütigung ("Meine tägliche Ernüchterung gib mir heute"). Es ist berechtigt, daß ich mein Ego als "heimtückisches Monster" tituliere. So kriege ich es selber klein, und wenn das nicht reicht, muß ein anderer Mensch aushelfen.

Der Weg der Hingabe wird bei Maharshi wie folgt beschrieben (S. 107): "Ich selbst bin völlig hilflos. Nur Gott ist allmächtig, und wenn ich mich ihm nicht völlig ergebe, gibt es keine Rettung für mich." Als ich blitzartig erkannte (als plötzliche Einsicht), daß es mich als getrennte Person nicht gibt, hatte ich genau solche tief religiösen Empfindungen: ich bin völlig hilflos, ich kann aus eigener Macht nicht einmal mit der Wimper zucken, ich muß mich Gott völlig ergeben, das ist der Sinn meines Lebens. Und zu dem Zeitpunkt hatte ich vom Weg der Hingabe noch nichts gelesen (zumindest nicht so detailliert), diese Empfindungen kamen authentisch aus mir. Auch, daß ich das Ego als Teufel erkannte, als Versucher, hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nirgendwo gelesen (später las ich bei Reschke, daß man das Ego archaisch als Teufel bezeichnen kann).

Letzte Nacht hatte ich einen Moment des Erschreckens. Mir wurde klar, daß ich eine bestimmte Form der Rückmeldung brauche, einen bestimmten Tonfall, der mir verdeutlicht: "So, jetzt ist es ernst. Entweder Du kapierst jetzt endlich was, oder Du wirst endgültig als Betrügerin und Hochstaplerin entlarvt und fällst vollständig heraus aus diesem Spiel." Diese Ansprache, die mich bis ins Mark trifft (und die eine Art von Todesangst auslöst), habe ich von unterschiedlichen Menschen erhalten. Der Moment meines Erschreckens war: diese Personen sind austauschbar! Ich selber schreibe diesen Personen diese Rolle zu, weil ich sie brauche.

Als ich bei Maharshi vor einigen Wochen erstmals etwas über seine Methode der Selbstergründung las, verstand ich nur Bahnhof und legte das Buch schnell wieder weg. Ich konnte damit nichts anfangen. Letzte Nacht las ich nun in Kapitel 5 etwas, was ich sofort wiedererkannte. "Moment mal, das kenne ich doch. Das war doch mein Gefühl von letzter Woche."

(Maharshi: "Sei, was Du bist", S. 72)

"Bei weiterer Entwicklung wird der Gedanke "Ich" durch ein subjektiv erfahrenes Gefühl "Ich" abgelöst, und wenn dieses Gefühl aufhört, sich mit Gedanken und Objekten zu identizieren, verschwindet es völlig. Was bleibt, ist eine Erfahrung des Seins, in der die Empfindung der Individualität vorübergehend ausgelöscht ist."

Ich weiß, was mit "Ich-Gedanke" im Unterschied zu "Ich-Gefühl" gemeint ist. Und ich war auch schon an dem Punkt, an dem ein Gefühl von "Ich" völlig verschwindet und nur ein Gefühl von Sein übrigbleibt. Letzte Nacht war ich mehrere Stunden lang wiederholt dort (ich ging absichtlich nicht schlafen, um im Halbschlaf verbleiben zu können), ebenso heute in den Morgenstunden, ich blieb nach dem Aufwachen einfach liegen, gedankenlos. Wenn doch Gedankenfetzen aufkamen, konnte ich mich schnell davon lösen.

Ich (bzw. Nicht-Ich) bin angekommen. Mir fehlt aber noch eine Erfahrung der Art "Ich und der Vater sind eins". Es sei denn, dieses innere Bild, das ich vor einigen Tagen hatte, war das: ich sah, wie ich (dieser Körper) lächelnd aus einer sitzenden Position aufsprang, um mich, die ich mich ansah, zu umarmen.

In der letzten Tiefe fehlt mir noch was, ich werde mich weiter in Hingabe üben. Das ist mein Weg, für den Rest meines Lebens!

Mir kommen jetzt die Tränen, während ich dies schreibe.

Letzte Nacht, während der Gedankenlosigkeit, empfand ich Frieden und leises Glück. Heute morgen, während der Gedankenlosigkeit, empfand ich nur Neutralität, Normalität, Nüchternheit. Es gab keine Kopfschmerzen. Unterdessen habe ich wieder leichte Kopfschmerzen, die haben irgendetwas mit dem Ego zu tun.

Ich hatte immer noch keine Wahrnehmung von Leere. Aber sehr wohl eine Wahrnehmung von Sein. Irgendetwas fehlt noch. Aber mir geht es gut. Ich bin richtig. Alles ist richtig. Ich werde auch bestimmt wieder arbeiten können. Und mit meiner Lebensgefährtin gehe ich seit dem Wochenende endlich wieder liebevoll um. Sie hat ein ganzes Jahr lang zu mir gehalten, obwohl ich mich ihr gegenüber widerlich verhalten habe. Sie ist ein wunderbarer Mensch, und sie ist für mich die bestmögliche Partnerin. Wir haben früher sehr oft zusammen Stille genossen und sind ineinander verschmolzen. Ich weiß nun, daß ich nicht mit ihr verschmelzen darf, sondern mit mir selbst. Und jetzt kann ich mir ihr auch wieder Stille genießen, am Wochenende haben wir stundenlang nur stille Musik gehört, Hand gehalten und geschwiegen.

Falls sich mein Ego nun erneut erheben sollte (im Augenblick ist es klein, aber die Versuchung wird vermutlich wiederkehren), werde ich eine erneute Demütigung brauchen. Ich weiß auch schon, wo ich mir diese holen könnte (wirkungsvoller ist es allerdings, wenn es unerwartet kommt). Mal sehen, vielleicht ist es ja nicht notwendig. Ich habe immer panische Angst vor diesen schmerzhaften Rückmeldungen, das ist mein Fegefeuer, durch das ich durch muß, um dieses Ego loszuwerden.

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