Freitag, 22. Januar 2010

Erwachen

Ich habe in letzter Zeit ab und zu eine andere Wahrnehmung meiner selbst. Ich schaue irgendwie anders aus meinen Augen. Ich erlebe meinen Körper anders. Es ist nicht mehr dieses Gefühl „ich bin dieser Körper“ (und schon gar nicht „ich bin der Verstand“), sondern es ist mehr „ich nutze diesen Körper, um mich selbst auszudrücken“. Der ganze Körper ist mein Sinnes- und Ausdrucksorgan.

Vielleicht ist diese Wahrnehmung der erwachte Zustand. Es paßt jedenfalls zu den Beschreibungen, die ich dazu gelesen habe. Die Wahrnehmung ist einerseits völlig natürlich, normal und vertraut (ich bin ich selbst, was denn sonst?), und andererseits ist sie ganz neu, weil es eben viele Jahre lang völlig anders war, da war diese Selbstwahrnehmung völlig verlorengegangen.

Diese neue und doch vertraute Selbstwahrnehmung habe ich nicht immer, aber wiederholt, seit einiger Zeit schon. Ich glaube, das ist dieser „natürliche Zustand“, in dem jeder Mensch bereits ist.

Wenn ich diese Wahrnehmung habe, dann fühle ich mich mit mir selbst identisch. Dann bin ich einfach da. Dann bin ich in der Wirklichkeit, im Hier und Jetzt. Ich bin präsent, ich bin wach.

Nach dem, was ich in anderen Erfahrungsberichten gelesen habe, gibt es dann noch ganz unterschiedliche Tiefen der Wahrnehmung. Ich habe z.B. noch nie gesehen, daß sich feste Körper in Licht auflösen oder ähnliches. Aber dieses Gefühl, jetzt ganz da zu sein, das erkenne ich wieder. So gesehen brauche ich nichts mehr zu suchen, ich bin angekommen.

Dieser wache Zustand geht bei mir allerdings immer wieder verloren. Es gibt ja anscheinend Menschen, bei denen er nie mehr verloren geht, weil sich ihr Gehirn umstrukturiert hat und weil evt. das Ego ganz verschwunden ist. Insofern geht es in der Tiefe der Erfahrung natürlich immer weiter.

Es kann auch sein, daß ich aus meinem jetzt vorhandenen erhöhten Bewußtseinsgrad (wenn man das so nennen kann) irgendwann wieder zurückfalle in den Normalzustand. Denn wenn ich mein Leben betrachte, scheint es da schon noch etliche Bereiche zu geben, in denen ich aufräumen muß.

Diese vielen verschiedenen Begriffe sind so verwirrend. Soweit ich jetzt verstanden habe, ist samadhi ein Versenkungszustand in der Meditation, der mit dem Erwachen nicht direkt etwas zu tun hat. Erwachen ist dagegen dieses Gefühl, jetzt ganz da zu sein. Und das zeigt sich in jedem Moment oder auch nicht. Bei mir scheint es so zu sein, daß meine wiederholten samadhi-Erfahrungen mein Gefühl von Präsenz im Alltag positiv beeinflußt haben, ich habe sozusagen aus der Meditationserfahrung etwas in den Alltag mitgenommen (Energie, Bewußtheit, was auch immer).

Ich hatte zwar noch keine mystische Einsichtserfahrung der Verschmelzung mit dem Nichts, aber für das Gefühl, jetzt ganz wach zu sein, scheint das auch nicht notwendig zu sein.

Wenn ich das „dramatische Theater“ abziehe, bleibt bei mir der erwachte Zustand übrig. Das ist etwas überraschend. ;-) Ich war anscheinend nur noch in einem Eiertanz um mich selbst gefangen. Heute lösen sich mit rasender Geschwindigkeit die letzten Verstrickungen. Und das nur, weil mir gestern endlich mal jemand, den ich in dieser Frage für kompetent halte, bestätigt hat, daß ich wohl tatsächlich einen halbwegs fortgeschrittenen Meditationszustand erreicht habe. Das nimmt mir die Reste der eigenen Unsicherheit.

Zu Wochenbeginn hatte ich übrigens auch bereits ein Gespräch, das mir eine gewisse Bestätigung brachte (und diese Bestätigung der eigenen Erfahrung ist notwendig, um den inneren Kritiker zu überzeugen): mein Büro-Kollege, der seit sehr vielen Jahren äußerst konsequent einen Yoga-Weg geht, erläuterte mir seine eigenen sehr sporadischen und ganz kurz andauernden samadhi-Erfahrungen. Ich erwähnte nichts von meinen Erfahrungen, ich hörte nur erstaunt zu und stellte im Vergleich fest: ich bin weiter als er gelangt, und das ganz ohne Yoga-Erfahrung (von ein paar Körperübungen abgesehen).

Ich kann das jetzt mit Dankbarkeit feststellen, ohne mir irgendetwas darauf einzubilden. Es ist ein Geschenk, es ist eine große Gnade, ich habe das nicht „gemacht“, ich mache gar nichts mehr, ich lasse nur los, ich gebe mich hin. Das ist mein einziger „eigener“ Beitrag dazu.

Die „Ich-Illusion“ ist damit übrigens nicht durchschaut. Aber wenn es heißt, daß Kinder natürlicherweise im „erwachten Zustand“ sind, dann kann das Durchschauen der „Ich-Illusion“ dafür ja auch keine Voraussetzung sein. Ich bin jetzt zumindest in einzelnen Augenblicken mindestens genauso wach wie ich als Kind war.

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Heute abend habe ich erstmals in ein Buch mit dem vielversprechenden Titel „Erleuchtung“ (OWK) hineingesehen und mich gleich festgelesen. Das steigert die Verwirrung und gleichzeitig die Erleichterung unermeßlich.

OWK unterscheidet zwischen „Erwachen“ und „Erleuchtung“, wobei er „Erwachen“ auch als „psychologische Erleuchtung“ bezeichnet. Da fehlen dann die Einsichten in die Gotteserfahrung und in die Nicht-Existenz des Universums, aber trotzdem findet eine Transformation des Menschen statt. Erwachen sei „Selbstrealisation“ im Unterschied zur „Gottesrealisation“ bei der Erleuchtung.

Ich bekomme gerade den Eindruck, daß das alles völlig egal ist und daß am Ende nur entscheidend ist, woran man selber glaubt. OWK schreibt sogar ausdrücklich, daß jeder Weg funktioniert, wenn man nur fest genug daran glaubt. "Erleuchtung" durch Autosuggestion, warum nicht? ;-)

Für mich ist eigentlich entscheidend, ob ich mich gut fühle, ob ich mein Leben als sinnhaft erlebe, ob mein Leiden am Leben reduziert ist, ob ich gute zwischenmenschliche Erfahrungen mache, ob ich meinen Alltag wieder bewältige. Diese Punkte sind derzeit bei mir erfüllt (na ja, bei der Alltagsbewältigung muß ich noch beweisen, daß es wieder klappt). Das finde ich wunderbar, und wenn es so bliebe, wäre ich völlig zufrieden und ein glücklicher Mensch. Wie man das dann nennt, ist eigentlich ganz egal.


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Noch ein Nachtrag: ich merke selber, wie schwankend mein Willen ist. Das Ego läßt sich leicht vom Glück verführen (ohne zu bedenken, daß das Glück vergänglich ist). Ich möchte auch ungern den Kontakt zu „normalen“ Alltagsmenschen ganz verlieren. Aber letztlich entscheide ich (Ego) ja gar nicht, wann meine Suche beendet ist, das entscheidet Gott. Wenn meine Sehnsucht wieder brennt, werde ich weitergehen.

Noch etwas fällt krass auf: als ich den ersten Teil dieses Beitrags verfaßte, stand ich noch unter dem Eindruck dieses „erwachten“ Ich-Gefühls, das ich heute mittag eine kurze Zeit sehr stark erfahren habe. Im zweiten Teil des Beitrags war ich dann voll im Alltags-Ich des Egos, das wieder Angst davor bekommen hat, sich noch mehr aufgeben zu müssen.

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