Freitag, 8. Januar 2010

zwischen Ego und Sein

Notizen vom heutigen Tag:

Vormittag: Heute habe ich wieder dieses wunderbar friedliche und glückliche Gefühl. Das war sogar sehr stark während eines körperlich unangenehmen Termins zur Zahnreinigung.

Das Ich ist nicht verschwunden, aber es ist nicht mehr so dominant. Das friedliche Gefühl kommt nicht aus dem Ich, es ist davon unabhängig. Ich habe Kopfschmerzen, aber die machen mir keine Angst. Es gibt nichts, wovor ich Angst haben müßte.

Ich lebe, ich existiere, und das Leben ist wunderbar. Ich habe kein Bedürfnis, irgendwelche großen Pläne zu machen oder irgendwelchen Zielen hinterherzuhecheln, ich möchte einfach in diesem Zustand verbleiben, in dem ich jetzt bin.

Als ich mich heute an meinen Schreibtisch im Büro setzte, da verspürte ich eine starke Schaffensfreude. Ich hatte Lust etwas zu schaffen. Dann kamen Gedanken dazu, etwa so: "Aber was willst Du schaffen? Welche Arbeiten stehen heute an? Die sind doch öde, hast Du wirklich dazu Lust?"

Danach kamen die Kopfschmerzen. Dann fing ich halbherzig mit der Planung eines Projekts an und verlor nach kurzer Zeit den Faden. Ich brach einige Zeit später die Arbeit ab, um mir Notizen für diesen Blog-Beitrag zu machen.

Ich habe es genau beobachtet. Erst war da der innere Impuls, die Lust, die Arbeit anzugehen, und dann erst kamen die miesmachenden Gedanken. Ich rätsele ja seit Monaten herum, ob es das Ego ist, was mir die Arbeit unmöglich macht, oder ob es mein wahres Wesen ist. Heute ist es eindeutig das Ego, das stört.

Neben Kopfschmerzen habe ich auch starke Rückenschmerzen und Verspannungen im Schultergürtel, also körperlich hat sich da bei mir noch nichts gelöst, eher im Gegenteil. Schon seit mehreren Wochen erkenne ich diesen Körper im Spiegel aber nicht mehr als "Ich".

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Mittag: Eben hatte ich eine Verstandes-Attacke: die ganze Aufmerksamkeit war im Kopf konzentriert, der sich zum Zerbersten anfühlte. Ich erinnerte mich sofort, daß dies der früher "normale" Zustand war, dieses "Ich bin im Kopf". Nun sehe ich nochmal deutlicher den Unterschied zu meinem Zustand der letzten Tage. Da gab es immer noch das "Ich im Kopf", aber daneben gab es auch pures Sein, pure Existenz.

Die Verstandes-Attacke ist noch nicht ganz abgeklungen, da kämpft anscheinend das Gehirn mit sich selbst.

Vor einiger Zeit hatte ich noch Angst vor möglichen physiologischen Veränderungen im Gehirn, wenn dieses die Kontrolle irgendwann tatsächlich ganz abgeben sollte. Die Angst ist verschwunden. Es wäre auch kein großer Verlust, wenn diese (fiktive) Ich-Person irgendwann ganz sterben sollte.

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Abend: Heute nachmittag konnte ich recht konzentriert arbeiten, darüber war ich sehr froh. Allerdings hatte es anscheinend zur Folge, daß das Ego wieder stärker wurde. Zeitweise verlor ich völlig den Kontakt zum Sein und befürchtete bereits, daß diese schöne Phase schon vorbei sei.

Beim Tanzen fand ich dann wieder stärker zum Sein zurück, aber nicht mehr so intensiv wie in den letzten Tagen. Es gab heute einige Übungen zum eigenen Schatten, z.B. sollte man gegen den eigenen Schatten kämpfen. Das habe ich verweigert. Ich habe mich stattdessen dem Schatten im Tanz genähert, um mit ihm schließlich zu verschmelzen. Dieser Moment hat mich stark berührt.

In einer Partner-Übung hat mein Partner meinen Schatten dargestellt (ich hatte ihm dafür als Stichworte Hochmut, Herablassung sowie Eingesperrtsein genannt) und ich konnte mich tänzerisch auf diesen Schatten-Partner zubewegen. Das war eine sehr aufschlußreiche und schöne Übung. Ich habe mich darum bemüht, den Hochmut zu lieben, was sehr schwer war. Als er tänzerisch einen eingesperrten und starren Menschen darstellte, habe ich versucht, ihn zu befreien, was schließlich auch gelang.

In einer weiteren Übung wurde mir nochmals deutlich, wie sich mein Ich-Gefängnis körperlich ausdrückt: der gesamte Brustkorb fühlt sich dann an wie ein harter, völlig unbeweglicher Panzer. Außerdem ziehe ich die Schultern nach oben und nach vorn, krümme den Rücken nach vorne, falle sozusagen in mich zusammen (so kann man natürlich nicht mehr frei atmen).

Das Tanzen bekommt mir gut, das drängt das Ego in den Hintergrund und der Körper kann sich frei bewegen. Sehr merkwürdig fühlte sich für mich heute allerdings das Sprechen über "meine" Erfahrungen an diesem Abend an. Die psychotherapeutische Arbeit an einem nicht-existenten Ich ist sinnlos. Ich habe das Spiel aber mitgespielt.

Danach hatte ich Sehnsucht nach mehr Kontakt zum Sein, und so fuhr ich nachts erneut in den Wald. Ich hatte dort wieder Momente inneren Friedens, unterdessen überwiegen allerdings die Kopfschmerzen, und das Ego drängt in den Vordergrund. Ich deute die Kopfschmerzen so, daß das Gehirn versucht, seine Handlungsunfähigkeit und die Nicht-Existenz einer Person entweder zu verarbeiten oder nicht wahrhaben zu wollen.

Ich lese zur Zeit von Suzanne Segal: "Kollision mit der Unendlichkeit". Das macht mir nochmals klarer, was ich prinzipiell vor Weihnachten ja auch bereits erkannt habe: es gibt keinen Handelnden. Aber diese Erkenntnis nun nach und nach auch auf Alltagssituationen anzuwenden, überfordert mein Gehirn derzeit noch.

Gibt es vollständige Handlungsunfähigkeit, oder gibt es vollständige Handlungsfreiheit? Ich glaube aktuell, daß es so ist: aus der Perspektive des Egos gibt es vollständige Handlungsunfähigkeit, aus der Perspektive des Seins gibt es vollständige Handlungsfreiheit. Da passiert dann aber immer nur das Offensichtliche und ohne einen persönlichen Handelnden. Das ist zunächst nur eine theoretische Überlegung. Aber mir scheint jetzt, daß der Wechsel der Perspektive (weg vom Ego) andere Handlungsmöglichkeiten eröffnet.

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