Montag, 25. Januar 2010

Sensorische Deprivation

Das Wochenende war ruhig und weitgehend sehr angenehm. Am Samstag vormittag hatten mich noch alpdruckartige Ängste befallen, als ich in einer Aufstellung über Meditationszustände etwas über eine sehr düstere Phase, genannt „Dark Night“, las. Ich fragte mich, ob ich diese wohl noch vor mir oder schon hinter mir habe. Ich bin nicht sicher, aber vieles von dem, was ich bereits erlebt habe, war sehr düster. Kaum vorstellbar, daß es noch schlimmer kommen könnte.

Als ich merkte, daß es wieder nur meine eigenen Gedanken sind, die mich in die Hölle werfen, konzentrierte ich mich auf mein Vertrauen, daß Gott es gut mit mir meint. Die Stimmung hellte sich auf und blieb dann glücklich.

Gestern abend las ich dann viel im Buch „Erleuchtung“ von OWK. Er listet dort eine lange Reihe von Erfahrungen auf, die zu einer vollständigen spirituellen Erleuchtung gehören. Für meine Eigeneinschätzung ist das sehr hilfreich. Nur einen kleinen Teil dieser Erfahrungen kenne ich unterdessen aus eigenem Erleben, den weit überwiegenden Teil habe ich bisher allenfalls gedanklich erfaßt.

Unterdessen habe ich auch ein wenig über Meditationstechniken gelesen. Zur Verifikation, daß Wahrnehmungen unbeständig und leidhaft sind, soll man sich z.B. auf die Wahrnehmung eines Fingers konzentrieren und dann die Anzahl der Wahrnehmungen pro Sekunde zählen. Was für ein mühsames Vorgehen. Da bin ich wenig motiviert.

Bei meiner Auseinandersetzung mit der Ich-Illusion habe ich mich bisher auf den Aspekt Nicht-Selbst konzentriert, weil ich es auch nicht besser wußte. Heute dachte ich erstmals über Unbeständigkeit nach. Feste Körper erscheinen mir bisher sehr real und tatsächlich fest und beständig. Es ist schwer, etwas als Illusion zu erkennen, was so stabil erscheint.

Heute beim Mittagessen befiel mich dann eine tiefe Schwermut. Und da wußte ich plötzlich, daß jetzt das Abschiednehmen von meinen Sinneswahrnehmungen auf meinem Stundenplan steht. Ich habe darüber keinerlei Kontrolle. Dieser Prozeß läuft unkontrolliert in mir ab. Wenn so etwas an die Oberfläche dringt, habe ich allenfalls die Wahl, jetzt sofort hinzusehen oder längere Zeit daran zu leiden. Vermutlich habe ich nicht einmal DIESE Wahl, sie wird mir nur vorgegaukelt.

Noch ein Exkurs: ich habe jetzt gedanklich nachvollzogen, wie die Handlungs-Illusion entsteht. Gott in seiner Güte gibt den Wünschen des Egos häufig nach und führt eine Handlung aus, die das Ego in dem Glauben beläßt, es selbst hätte so entschieden. In Wahrheit hat das Ego keinerlei Handlungsfreiheit. Das Ego existiert ja nicht einmal, es handelt sich nur um eine falsche Identifikation von ICH SELBST=GOTT mit dem Menschen (Gott vergißt, daß er Gott ist, und glaubt, er sei ein Mensch). Aber solange das nicht vollständig erfahren wurde, bleibe ich ja in der menschlichen Perspektive.

Zurück zu meinen Sinneswahrnehmungen, die ich jetzt loslassen muß: alles, was meine Augen sehen, ist aus einer gewissen Perspektive nicht real. Die Welt ist wunderschön, aber ich darf sie nicht mehr sehen, da es sie gar nicht gibt, ich sage mich davon los. Alles, was meine Ohren hören, ist nur eine Illusion. Ich sage mich davon los. Alles, was ich mit meiner Nase riechen kann, ist nicht wirklich. Ich sage mich davon los.

Mich vom Geschmackssinn freizumachen, fällt besonders schwer. Ich esse leidenschaftlich gerne. Alles, was so köstlich schmeckt, ist nur ein fake, eine Sinnestäuschung. Das existiert gar nicht. Ich sage mich davon los.

Zuletzt der Tastsinn, auch dieser ist mir sehr wichtig. Ich liebe zärtliche Berührungen. Sie wirken so echt. Ich taste feste und weiche, flüssige, warme und kalte Körper, die alle schrecklich real wirken, aber dies nicht sind. Ich sage mich davon los.

Was bleibt dann? Totale sensorische Deprivation. Ein dunkles Vakuum, ein Nichts. Merkwürdigerweise habe ich seit meiner Kindheit von Erfahrungen phantasiert, die in diese Richtung gehen, und einige dieser Phantasien sogar in die Realität umgesetzt. Was passiert, wenn ich nichts mehr mit meinen Sinnen wahrnehmen kann? Die Frage löst nicht nur Schrecken aus, sondern auch Faszination.

Ohne Sinneswahrnehmungen löst sich der Körper in nichts auf. Das Denken bleibt dann vielleicht noch, aber ohne neuen Input wird es wahnsinnig werden. Oder still werden. Wenn es still wird, und alle Sinne still sind (letzteres war in meiner Versenkungserfahrung nicht der Fall), dann müßte das Ich sich auflösen.

Ich merke gerade, daß ich davor gar nicht mehr so viel Angst habe. Ich empfinde eher Neugierde, wie das wohl ist. Wenn ich die Gedanken, die Emotionen und die Körperwahrnehmungen zum Stillstand bringen könnte, dann müßte das Ich verschwinden. Das würde ich gerne mal ausprobieren. Einige Sinne kann ich ja bewußt ausschalten, nur beim Tastsinn ist das schwierig. Man spürt normalerweise immer die Unterlage, auf der man liegt oder sitzt. Und man spürt auch den Atem. Gedankenleere herzustellen müßte mir mit Konzentration gelingen, die Abwesenheit von Emotionen habe ich bisher nicht herstellen können, das käme auf den Versuch an.

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Dieser Eintrag hier ist ein Beispiel dafür, wie ich während des Schreibens eine Entdeckung mache. Ich durchlaufe während des Schreibens einen Prozeß. Das, was ich aufschreibe, durchlebe ich auch (wenn ich z.B. schreibe, daß ich mich von einer Sinneswahrnehmung lossage, dann stelle ich mir das vor, und dann treffe ich eine schmerzliche Entscheidung). Ich wußte am Anfang nicht, was am Ende stehen würde.

Was ich dabei so schreibe, kann manchmal schon am nächsten Tag als kompletter Blödsinn entlarvt werden, es ist einfach eine Verlaufsbeschreibung meines Prozesses. Vielleicht ist es nur eine meiner Vorstellungen, die ich abarbeiten und dann loslassen muß. Es ist oft eine Art von Inszenierung, aber mir hilft diese. Ich glaube, daß für mich diese Art des Schreibens (zuzüglich der daraus für mich resultierenden Übungen oder Rituale) das ersetzt, was andere während der Meditation erleben.

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