Freitag, 11. Dezember 2009

Der Satan in mir

Wenn es kein Ich gibt, dann ist alles sinnlos. Wenn es keine Wünsche und Hoffnungen mehr gibt, dann ist alles trostlos.

Ich bin heute sehr depressiv und sehr aggressiv, also aggressiv nach innen und nach außen. Es hilft mir nicht, wenn ich mir sage, daß das auch nur eine Phase ist, die vorübergehen wird.

Es ist schon klar, daß das ICH das Problem ist. Ohne das ICH wäre das Leben einfach das Leben. Mit dem ICH wird alles kompliziert. Ohne ICH gäbe es jetzt weder Depression noch Aggression, sondern einfach das, was gerade ist. Oder so.

Ich glaube aber immer noch, daß ich was tun kann. Ich habe die Sinnlosigkeit meines Tuns noch nicht vollkommen akzeptiert. Und solange ich in dieser Schleife bin, werde ich weiterleiden.

Seit letzter Nacht lese ich Ramana Maharshi, "Gespräche des Weisen vom Berge Arunachala". Gestern habe ich den Bericht von Esther Veltheim über ihr Erwachen gelesen (den ins Deutsche übersetzten Text gibt es hier: http://reines-sein.de/s_x_g_veltheim.htm.) Und ich habe in dem Blog von jemandem gelesen, der das Ich schon vor langer Zeit massakriert hat (wobei das die falsche Bezeichnung ist).

Mein intellektuelles Verständnis der Sache wächst in den letzten Tagen. Ich kapiere jetzt näherungsweise, worum es geht.

Vor einiger Zeit hatte ich eine Erfahrung, die mich vermuten ließ: "Ich bin nicht mein Verstand. Ich bin außerhalb vom Verstand." Das sehe ich heute als falsch an. Das ICH ist immer im Verstand, im Gehirn, zu lokalisieren. Das, was außerhalb vom Verstand ist, ist nicht das Ich. Ich dachte, ich hätte außerhalb vom Verstand den Beobachter lokalisiert, und mit dem habe ich mich dann wieder identifiziert, und deshalb war es immer noch das Ich, das ich da lokalisiert habe.

Vor ein paar Tagen war ich an einem Punkt, an dem die Welt verschwindet. Und an dem Punkt war ich schon öfters, vor langer Zeit. Aber nicht nur in der Kindheit, auch als Erwachsene in wenigen Momenten. Das Ich war aber immer noch da, und so habe ich einen Raum wahrgenommen, einen kleinen hellen Raum. Das ist immer noch eine Erfahrung, und diese wurde vom ICH erfahren.

Die Verwirklichung des Selbst muß nach den Beschreibungen, die ich gelesen habe, noch darüber hinausgehen. Da verschwindet dann alles, die ganze Welt und auch das ICH und der Körper/alle Körper sowieso.

Manche indische Heilige versinken ganz im Selbst (im universellen Selbst) und lassen den Körper dabei verrotten, weil er einfach unwichtig geworden ist. Ich kann mir das jetzt näherungsweise vorstellen.

Was ich noch nicht kapiert habe: inwiefern verändert es die Wahrnehmung der relativen Welt, wenn einmal die Absolutheit erfahren wurde? Nimmt man etwas daraus mit? In der relativen Welt entsteht das Ich immer wieder neu, sobald Gedanken da sind. Was passiert während einer gedankenlosen Phase? Dann ist mensch in der Wirklichkeit angekommen, und die wird dann viel intensiver erlebt als vorher – so habe ich das jetzt verstanden, aber begreifen kann ich es nicht.

Natürlich kann ich mich erinnern, daß ich als Kind gedankenverloren gespielt und dabei Zeit und Raum vergessen habe. Ich konnte in dem, was ich tat, völlig aufgehen. Geht es darum, einen solchen Zustand zu erreichen? Das holt mich jetzt etwas aus der Depression heraus, es gibt einen Funken Hoffnung. Aber die Hoffnung muß doch erst sterben, dachte ich? Wer hält das aus? Wenn alle Hoffnung stirbt. Wenn ich das richtig verstanden habe, muß die Hoffnung auch nicht nur einmal vollständig absterben, sondern in jedem Moment. Immer wieder aufs Neue muß man ganz sterben, nur dann lebt man in der Wirklichkeit. Aber da lebt dann nicht mehr "man", denn das Ich ist dann ja verschwunden. Das übersteigt mein Vorstellungsvermögen.

Also, den Zustand des Nichts kann ich mir jetzt näherungsweise vorstellen, aber nicht, was danach kommen könnte.

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Beim Tanzen gestern war eine Übung, das zu tanzen, was uns verletzt. Mich verletzt das "Ich-Gefängnis". Also hatte ich das Gefängnis zu tanzen. Wie macht man sowas? Ich habe dann einen Aggressor getanzt, der einen Menschen in einen viel zu kleinen Kasten einsperrt, ihn stranguliert, ihm den Brustkorb einschnürt, ihn festhält und unbeweglich macht...

Diese Übungen sind oft sehr erhellend. Man setzt einen spontanen Impuls in Bewegung um, ohne lange vorher nachzudenken (damit entkommt man der Ich-Kontrolle). Und dann habe ich mir selbst in dieser Übung gespiegelt, was das ICH mit mir macht. Das ICH sperrt mich ein, es nimmt mir die Luft zum Atmen, es macht mich unbeweglich usw. Das alles tue ICH mit diesem hirnrissigen Gehirn MIR SELBST an.

Das ICH vergewaltigt das SEIN. Alles, was das ICH will, denkt, plant, ist von vorne bis hinten hirnrissig und selbstverletzend. Das Selbst will einfach nur SEIN, das ICH überlagert das SEIN mit MIST, mit unglaublich viel MÜLL. Alles, was das ICH tut, ist von vorne bis hinten nur Selbstbetrug, ist gelogen, falsch und skrupellos zudem. Die Wahrheit ist einfach die Wahrheit, und das ICH kann sich entweder der Wahrheit unterordnen und damit verschwinden, oder es kann die Lüge in die Welt bringen.

Wofür gibt es dann überhaupt ein ICH? Um uns selbst in Versuchung zu führen? Das ICH ist der wahre Satan, scheint mir, der Versucher. Wer dem ICH folgt, hat schon verloren.

Was für eine Bürde: den Satan lebenslang in sich zu tragen...

Ein Heiliger ist demnach ein Mensch, der dem Satan im eigenen Kopf in jedem Augenblick widersteht.

UFF! Das muß "ich" jetzt erstmal sacken lassen.

Immerhin fühle "ich" mich jetzt etwas besser als vorhin. "Mir" geht es derzeit ganz gut, wenn dem ICH mal für kurze Zeit das Maul gestopft ist. Ist die wahre Natur des Menschen nicht trotzdem noch etwas Individuelles? Es sind doch nicht alle Menschen gleich, nur im Wesenskern sind alle gleich. Warum ist es erstrebenswert, vor dem Tod des Körpers die Verwirklichung des Selbst zu erlangen? Der Körper stirbt doch trotzdem, und das ICH auch. Kaum scheint eine Frage geklärt, kommt gleich die nächste.

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