Mittwoch, 9. Dezember 2009

wenn die Welt verschwindet

Gestern am späten Abend versuchte ich nochmal, mit Trance-Trommeln eine Erfahrung zu machen. In meinem inneren Bild sah ich diesmal eine sehr schroffe Felsspitze vor einem hellen Himmel. Ich klebte etwas unterhalb vom Gipfel am Fels, wieder nackt, aber diesmal mit offenen Augen. Das Rentier machte sich einen Jux daraus, um den Felsen zu fliegen, ohne mir zu helfen (ich liebe diese Selbstironie ;-)). Also mußte ich selber den Felsen weiter heraufkraxeln bis zum Gipfel. Es gab keine besondere Wahrnehmung dort, ich sah auch nichts weiter außer leeren, hellen Himmel und etwas Nebel/Wolken, die die Sicht nach unten versperrten.

Ich gelangte nicht erneut an den Punkt, an dem die Welt aufhört zu existieren. An dem Punkt war ich aber beim Spaziergang am früheren Abend. Gestern schrieb ich, daß die Welt dann stillsteht. Ich nehme es aber tatsächlich so wahr, daß die Welt dann aufhört zu existieren, sie verschwindet. Nur das Ich, das scheint immer noch da zu sein. Vermutlich mache ich mir da was vor. ;-)

An dem Punkt, an dem die Welt verschwindet, was ist dann noch da? Wie soll man das nennen? Meine Empfindung war nicht Weite, sondern eher ein ganz kleiner Raum, auf den alles zusammengeschrumpft war. Dieser Raum war hell.

Die Empfindungen, die ich gestern aufgeschrieben habe, wie Frieden, Stille, stilles Glück usw., die waren nicht in diesem Moment da, in dem die Welt verschwindet. Da habe ich zwei Dinge durcheinandergebracht, die zwar vermutlich zusammenhängen, die ich aber selber noch nicht als zusammenhängend wahrgenommen habe. Ich muß vorsichtiger sein mit der Beschreibung meiner Wahrnehmung.

Der Moment, in dem die Welt verschwindet, hat bei mir keine besonderen Empfindungen ausgelöst, vielleicht eine Mischung aus ein wenig Erschrecken und ein wenig Erstaunen. Und unmittelbar danach fühlte sich der Körper fremd an.

Heute morgen nach dem Aufwachen fühlte sich der Körper ebenfalls fremd an. Das empfand ich (?) als unangenehm, denn das hielt mehrere Minuten lang an: ein fremder Körper ging die Treppe herunter und ins Bad. Das Gefühl von Entfremdung wurde geringer, als ich (?) anfing, über Kollegen nachzudenken – in wertender Weise. Diese Gedanken wurden mir kurz darauf bewußt, und so fand ich den Punkt der Identifizierung nicht nur mit den Gedanken, sondern auch mit dem Körper.

Dieses Entfremdungsgefühl ist mir sehr vertraut, ich kann es aber anscheinend nicht willentlich erzeugen. Bisher habe ich es eher für eine psychische Störung gehalten, und aus der Sicht der naturwissenschaftlichen Denkweise ist es ja wohl auch eine Störung, wahrzunehmen, wie die Welt verschwindet. ;-) Ich finde das spannend, schade, daß ich es nicht erzwingen kann. Ich kann nur günstige Bedingungen schaffen und warten, ob es sich einstellt.

Das Wort "Nichts", gegen das ich mich gestern noch gewehrt habe, beschreibt es eigentlich doch ganz gut. Ein kleiner heller Raum (innen oder außen? Irgendwie war dieser Raum in mir drin, aber ich war auch in dem Raum) ist aber noch etwas mehr als "Nichts", es ist jedenfalls kein "schwarzes Loch". Vielleicht war meine Erfahrung noch nicht tief genug. Ich habe eine tiefe Sehnsucht nach einer Wiederholung und Vertiefung dieser Erfahrung. Es ist irgendwie das Eigentliche, das, worum es wirklich geht. Es ist das, was ich auf meiner Visionssuche gesucht habe – und dort leider nicht erreicht habe, ich bin nur nahegekommen, aber nicht so dicht heran wie gestern abend. Und gestern abend bin ich dichter herangekommen als einige Abende zuvor, als ich die Wahrnehmung hatte: "Ich bin ich. Ich bin die, die ich immer schon war."

Wenn ich allein bin in möglichst unberührter Natur und ohne akute psychische Konflikte / quälende Gedanken, dann habe ich eine gewisse Chance dorthinzugelangen, denn auch früher habe ich es einige wenige Mal in solchen Situationen erreicht. Es ist genau diese Erfahrung, die jeder ernsthafte Grenzgänger sucht, davon bin ich unterdessen überzeugt. Ich habe jüngst einige Artikel von Extrembergsteigern gelesen, wo es genau darum geht: um diesen kurzen Moment, in dem man alles hinter sich läßt, alles vergißt.

Daß es sich bei diesem Moment um die Konfrontation mit dem wahren Selbst handelt, habe ich mir nur angelesen, das kann ich bisher nicht bestätigen. Aber dieser Moment macht anscheinend süchtig. Für diesen kurzen Moment nehmen Menschen die ganzen Gefahren und Anstrengungen auf sich. Aus diesem Moment entsteht anscheinend tiefes Glück, aber es scheint erst hinterher zu kommen.

Ist es nur eine wehmütige Erinnerung oder bleibt etwas davon nach? Ich fühle mich heute völlig unverändert, ich stehe vor den genau gleichen Problemen wie immer und bin genauso unzufrieden über meine Lage wie zuvor. Es gibt aber schon seit einiger Zeit bei mir so eine Grundstimmung: "alles ist gut". Heute morgen in der S-Bahn habe ich herzhaft gelacht, als der Zugführer eine Durchsage machte wie im ICE: "Herzlich willkommen an Bord…" Da fielen viele Fahrgäste kurz aus ihrer Rolle, ich lachte die Frau gegenüber an, wir wechselten ein paar Worte. Ich mag Menschen. Ich fühle mich nicht mehr fremd.

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