Samstag, 5. Dezember 2009

Vom Finden


Man muß sich auf den Weg machen, das ist wichtig. Man muß umkehren, sich umdrehen, und losgehen. Aber man braucht nicht zu suchen, das führt nur in die Irre. Das, was gefunden werden will, das zeigt sich von ganz alleine, wenn es reif ist. Man muß nur offen dafür sein, damit man es auch sieht, wenn es sich zeigt. Und wenn man einen inneren Ruf spürt, dann muß man ihm bedingungslos folgen.

Ich weiß noch nicht genau, was ich gestern im Wald gefunden habe. Ich glaube, ich habe etwas zu Ende gebracht, was seit meiner Visionssuche im Sommer noch unvollendet war.

Mein Verstand hat gestern recht viel Widerstand geleistet. Er hat zum einen den ganzen Nachmittag herumgenörgelt: "Was soll das, an einem naß-kalten Dezember-Abend allein in den Wald zu gehen? Das bringt doch nichts, Du machst Dich nur lächerlich, es ist auch gefährlich. Außerdem ist es heute viel zu ungemütlich. Andere Leute gehen zum Weihnachtsmarkt." Und zum anderen hat er wilde Phantasien irgendwelcher Selbstopferungs-Rituale entworfen. Ich kann das nicht ändern, ich bin zu stark geprägt durch Vorstellungen beispielsweise vom christlichen Kreuzweg.

Heute morgen habe ich mir Zeit für Yoga genommen. Dabei kamen – ebenso wie beim großen Hausputz danach - einige Mal spontan wieder Tränen wie aus dem Nichts. Diese Tränen sind heilend, sie tun gut. Sie heilen zunächst mich selbst, aber ich ahne seit gestern, daß sie auch in einem größeren Zusammenhang heilend wirken. Als Schamanin gehe ich meinen Weg ganz alleine, aber ich gehe ihn auch stellvertretend für andere – so ähnlich beschreibt es Reschke, und dem spüre ich nach. Ich muß dabei immer aufpassen, daß ich nicht in Hochmut oder Übermut verfalle. Auch nicht in übertriebene Demut, das ist nur die Kehrseite vom Hochmut und genauso egozentrisch.

Ich suche ja seit dem Sommer nach meiner Berufung. Leider habe ich da immer noch keine Klarheit, und vermutlich klappt es deshalb mit der Arbeitsmotivation auch nach wie vor so schlecht. Nachdem ich jetzt eingesehen habe, daß eine Suche zu nichts führt, will ich einfach weiter offen sein, für alle Hinweise von innen und außen, die mir helfen könnten, meine Berufung zu erkennen.

Und wie ist das jetzt mit der "Erleuchtungserfahrung"? ;-) War es das nun gestern? Allzu viel kann bei mir doch nicht mehr fehlen. Ich hatte so viel Ernüchterung und Erschütterung in den letzten Wochen, die mein Ego kleingefaltet hat, und ich habe auch akzeptiert, daß ich mein kleines Ich in den Dienst einer größeren Sache stellen muß, daß ich nicht wichtig bin. Ich war gestern bereit, mein Ich zu opfern. Vielleicht war es ein Fehler, daß ich mein Vorhaben vorab angekündigt habe, falls es ein nächstes Mal gibt, mache ich es vielleicht besser ganz alleine und unbeobachtet. Es ist eine Gratwanderung mit diesem öffentlichen Tagebuch, ich habe leicht die Tendenz zur Selbstdarstellung, und das bläst das Ego ja nur wieder auf.

Ich habe bisher nicht empfunden, daß mein Ich mal für einen Augenblick ganz verschwindet, na ja, vielleicht doch. Während und kurz nach der Meditation gestern habe ich meinen Körper nicht mehr als meinen eigenen erkannt (und ich hatte kurzzeitig die optische Wahrnehmung, daß der dreidimensionale Raum in Richtung auf zwei Dimensionen schrumpft – aber diese Wahrnehmung ist mit Vorsicht zu genießen, das könnte von angelesenen Vorstellungen einer Leinwand-Projektion beeinflußt sein). Daß ich meinen Körper nicht als meinen eigenen erkenne, ist bei mir nichts Besonderes, denn ich hatte immer schon starke Schwierigkeiten, meinen Körper ganz anzunehmen. Mir fehlt es eher an Annahme des Körpers als an De-Identifikation.

Auf meinem Weg durch den Wald bin ich jedenfalls wieder ganz in meinem Körper angekommen, und als ich in der Heide stand und zum Mond hinaufschaute, war ich ganz ich selbst. So, wie ich immer schon war. Unverstellt. Pur. Ich habe mich sehr präsent gefühlt, sehr wach. Aber ganz klar als ICH. Da hat sich nichts aufgelöst oder als Illusion herausgestellt.

Also, vielleicht fehlt mir da noch was an Erfahrung, vielleicht bin ich noch zu sehr am Ich verhaftet. Ich werde aber nicht weiter nach Erleuchtung suchen, denn das ist völlig sinnlos. Ich gehe jetzt einfach meinen Lebensweg weiter und öffne mich für Einflüsse, die mich weiterführen könnten.

Es war eine gute Erfahrung gestern, etwas in mir ist befriedigt. Und immer wieder Tränen, auch jetzt gerade. Diese Tränen sind nicht selbstmitleidig, sie führen mich vom Ego weg, sie lösen Mauern des Egos auf, sie machen mich weich und empfänglich.

Was die Phönix-Schule anbelangt, so habe ich meine Rolle derzeit voll akzeptiert. Ich amüsiere mich darüber, ich kann über mich lachen. Ich schlage jetzt mein Zelt vor den Toren auf und warte ab, ob ich irgendwann reingelassen werde. ;-) Allerdings denke ich auch darüber nach, ob ich mal nach einem Hintereingang suchen sollte, der vielleicht schon einmal einen Blick auf das Schulgelände gewährt, eine Idee dazu habe ich schon länger, bisher fehlte mir der Mut...

Gestern habe ich viel in den Blogs einiger Schulmitglieder gelesen. Anders als vor einigen Tagen fand ich es diesmal entspannend und tröstlich. Ich fühle mich nicht getrennt, ich fühle mich diesen mir völlig unbekannten Menschen verbunden.

Ich merke gerade, daß ich vor einigen Wochen in der Tanz-Therapie ein Bild gemalt habe, das perfekt auf meine jetzige Situation paßt, wie eine Prophezeihung. Ich bin auf diesem Bild zunächst durch eine Mauer von anderen Menschen getrennt (die "Schulmauer"), und später tanze ich mit diesen Menschen im Kreis um einen Baum. Daß der Baum auch mich selber meinen kann, weil ich gerne im Mittelpunkt stehe, darauf bin ich vor Wochen hingewiesen worden. Dieser Ego-Anteil ist unterdessen hoffentlich zertrümmert. Aber gegen das Tanzen im Kreis ist wohl nichts einzuwenden. Da will ich hin!

Es ist spannend, nicht zu wissen, wie es weitergeht. Ich kann es auch als Spiel auffassen. Das Spiel des Lebens. Da nehme ich mich selber nicht so bierernst und lache über meine Rolle. Auch über meine Rolle im Wald gestern und die vorherigen hochmelodramatischen Vorstellungen habe ich natürlich im nachhinein gelacht – nachdem die Schamgefühle überwunden waren. Es ist lustig, (ungewollt, aber unvermeidbar) aufgepumpt mit Erwartungen einen Weg zu gehen, und am Ende findet man nur – sich selbst. ;-)



P.S. Ich muß mich korrigieren. Das Bild, das ich gemalt habe, war keine Prophezeihung, es war ein Drehbuch. Das Drehbuch für meine aktuelle Rolle habe ich selber geschrieben. Das ist in diesem Falle besonders offensichtlich, da ich selber dem Schulleiter vor etlichen Wochen eine Email geschrieben habe mit der Bitte, mich zunächst nicht an die Schule aufzunehmen, sondern mich erstmal "zwischen den Stühlen" sitzenzulassen. Da darf ich mich jetzt auch nicht beschweren. ;-) Mal sehen, ob es auch in meinen Möglichkeiten steht, das Drehbuch für meine eigene Rolle zu verändern. Andererseits hatte der Schulleiter zuvor meine Teilnahme zum damaligen Zeitpunkt bereits zurückgewiesen. Also ganz alleine schreibe ich das Drehbuch auch nicht.

Wenn jeder Mensch sich seine Wirklichkeit selber konstruiert, was ich weitgehend nachvollziehen kann, was ist dann in der Interaktion mehrerer Menschen? Wenn jeder der Beteiligten sich sein Drehbuch schreibt, wie kommt es dann trotzdem zu irgendwie gemeinsamen Erfahrungen? Auch wenn jeder der Beteiligten diese durch seine eigene Brille sieht, gibt es doch etwas "Objektives", das beide gleich erleben - oder nicht?

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