Donnerstag, 10. Dezember 2009

Gibt es ein Leben ohne ICH?

Gestern habe ich vergessen, eine Sinneswahrnehmung zu beschreiben. Merkwürdig, denn sie war ziemlich ungewöhnlich. Ich stand auf der mit Heide bewachsenen Waldlichtung, die ich immer als Ziel meiner nächtlichen Spaziergänge ansteuere. Durch die Zivilisations-Lichtverschmutzung ist es ja nie ganz dunkel, selbst bei Regenwetter nicht, ein schwaches Licht war also vorhanden. Ich schloß die Augen, und dann sah ich ein Schwarz-Weiß-Muster vor meinen Augen. Es war diesmal kein inneres imaginiertes Bild, sondern ich habe es tatsächlich mit meinen Augen gesehen. Es war wie ein Raster aus vielen kleinen Punkten, immer weiß an schwarz. Es war nicht exakt quadratisch, sondern die einzelnen Punkte waren etwas verwaschen und das ganze Bild war leicht gekrümmt.

Ich sah dieses Bild nicht nur für einen Moment, sondern relativ lange, vielleicht eine Minute. Dann veränderte es sich, es kam Bewegung hinein, wie Wellen und Strudel. Dann stellte ich fest, daß meine Augen nicht ganz geschlossen waren, sondern einen kleinen Spalt geöffnet, ich verließ diese Wahrnehmung, machte die Augen ganz auf und dachte darüber nach, ob vielleicht das einfallende Rest-Licht sich an den Wimpern so gebrochen haben könnte, daß diese Wahrnehmung entsteht – es ließ sich aber nicht reproduzieren. Und die klaren Schwarz-Weiß-Farben lassen sich auch kaum mit fahlem Nachtlicht erzeugen. Das einzige, was mir zu diesem Muster einfällt, ist die Netzhaut des Auges. Ich glaube aber nicht, daß diese so rasterförmig aufgebaut ist. Diese Sinneswahrnehmung ist mir nicht erklärlich. Wie gesagt, es war kein imaginiertes Bild.

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Ich lese viel in "Reines Sein", ich habe die Stellen in der Mitte und am Ende des Buches markiert, die mich derzeit am meisten anspringen, die mir etwas sagen wollen, was ich noch nicht ganz nachvollzogen und verstanden habe. Heute morgen las ich so erneut, daß man den Verstand auf den Verstand ansetzen kann.

Das habe ich dann endlich mal versucht und herausgekommen ist folgendes:

Wer ist ICH?

"Ich denke, also bin ich."

Daß das Müll ist, weiß ich ja schon seit einigen Wochen: ich bin nicht mein Verstand, denn ich kann mich als außerhalb vom Verstand befindlich wahrnehmen. Aber das normale Alltags-ICH hängt mit dem Verstand zusammen. Der Verstand erzeugt das ICH und das bildet sich dann ein, das Sagen zu haben.

Hat ein Tier ein ICH? Merkwürdig, daß ich mich das noch nie gefragt habe. Ein Tier hat kein ICH, denn es hat kein "Bewußtsein". So denken wir Menschen doch normalerweise, oder? Wobei "Bewußtsein" im normalen Sprachgebrauch nicht das ist, was ich unterdessen unter Bewußtsein verstehe. Ein Tier ist sich seiner selbst nicht bewußt, deshalb hat es auch kein ICH. Es kann nicht vorausplanend denken, es handelt immer instinktiv. Aber trotzdem handelt es? Wer handelt denn da? Offenbar können Tiere ganz ohne ICH existieren. Sie leben, sie essen und trinken, sie vermehren sich, sie schlafen, und das alles ohne ICH. Erstaunlich!!!

Was ist denn nun beim Menschen eigentlich anders? Der Mensch ist ein Säugetier. Er ißt und trinkt, er bewegt sich, er handelt. Wo ist da der Unterschied zu irgendeinem anderen Säugetier? Der Mensch würde ganz ohne ICH genauso gut funktionieren wie irgendein anderes Säugetier. Ich kann mir zwar überhaupt nicht vorstellen, wie das geht, aber es geht offenbar. Erstaunlich!!!!!!

Nächste Frage: wo ich das ICH, während ich schlafe? Es ist offenkundig verschwunden, es existiert nicht mehr. Das Gehirn produziert innere Bilder, Träume, aber da wir nachts nicht "bewußt" sind, gibt es nachts auch kein ICH. Oder?

Das ICH ersteht jeden Morgen nach dem Aufwachen neu. Und zwar in dem Moment, in dem Gedankentätigkeit einsetzt und das Gehirn sich einbildet, irgendwie das Sagen zu haben (auch heute morgen habe ich es wieder so erlebt, daß der Körper sich zunächst fremd anfühlte). Das ist das ICH. Das ICH sitzt im Gehirn, aber es ist für das Funktionieren des Säugetiers Mensch völlig überflüssig!

Ich finde diese Gedankengänge völlig logisch, da ist kein Denkfehler. Das ICH ist überflüssig, auch ohne ICH würde der Mensch funktionieren.

Das muß ich jetzt erstmal verkraften und sacken lassen. Es ist damit noch nicht bewiesen, daß es ein ICH gar nicht gibt, aber es ist bewiesen, daß es auch ohne ICH ginge.

Es gibt ein Leben ohne ICH.
Es ginge auch ohne ICH.

Wie das ginge, wäre mir völlig unbegreiflich, aber ich kann ja SEHEN, daß es geht. Tiere leben ganz ohne ICH. Ein Mensch, der schläft, lebt ganz ohne ICH. Ein Schlafwandler läuft sogar herum ganz ohne ICH, ein schlafender Mensch bewegt sich oder redet im Schlaf. Was ich mit eigenen Augen SEHEN kann, muß ich als reale Wahrnehmung zunächst mal anerkennen. Das ist ja sogar eine naturwissenschaftliche Vorgehensweise.

Meine Gefühlslage ist heute morgen selbstironisch. Es könnte sein, daß ich dem ICH doch noch den Garaus mache. Gegen das Offensichtliche kann man sich nicht beliebig lange wehren, auch wenn ICH das immer noch verzweifelt versuche…

Ich weiß noch nicht, ob der Mensch auch ohne ICH in der Lage wäre, einen Computer zu bedienen, aber er wäre auf jeden Fall in der Lage zu existieren, zu leben.

Nun habe ich gerade nochmal nachgeschaut, was wikipedia zu "cogito, ergo sum" zu sagen weiß. Erstaunlicherweise findet sich dort u.a. die Kritik, daß die Schlußfolgerung (das Sein aus dem Denken zu folgern) logisch inkorrekt sei, logisch korrekt sei dagegen:

"Aus „ich denke“ folgt nicht „ich bin“, sondern „es gibt etwas Denkendes“"

http://de.wikipedia.org/wiki/Cogito_ergo_sum

Genau! Es gibt etwas Denkendes, nämlich mein Gehirn, aber "ich bin" auch unabhängig von diesem Denkenden!

Wie ist das mit meiner gestrigen Ausflucht? "Ich bin eine unsterbliche Seele." Auch Tiere haben eine Seele, glaube ich (Glauben ist allerdings nicht Wissen). Es wäre doch denkbar, daß die Seele irgendwie den Körper steuert, bei Tieren wie bei Menschen, und auch bei Pflanzen. In einem Buch las ich vor einiger Zeit in etwa folgendes: die Seele ist die Projektion des Geistes in den Körper. Und wenn der Körper schläft, schläft dann auch die Seele (denn dann fehlt ja offensichtlich die Wahrnehmung)? Wie kann eine Seele schlafen?

Ich habe meinen Körper schon von außerhalb gesehen, jedenfalls in meiner Erinnerung. Das habe ich mir immer damit erklärt, daß die Seele in extremen Situationen (Todesangst) den Körper eben verlassen kann und somit von oben auf ihn schauen kann. So wird es auch in Nahtodeserfahrungen beschrieben. Hat eine Seele Augen? Womit schaut sie? Keine Ahnung, aber die Theorie einer individuellen Seele (ein Seelen-ICH) ist mit meinen obigen Überlegungen noch nicht widerlegt, finde ich. Nur das Denk-ICH, das ist als überflüssig entlarvt.

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