Montag, 14. Dezember 2009

Der Tod der Ich-Illusion

Ich kann noch nicht schlafen gehen. Heute ist für mich wie Weihnachten. Diesem Fest konnte ich ja lange nicht mehr viel abgewinnen, aber dieses Jahr wird es neu. Zu feiern ist aber nicht eine Geburt, sondern ein Tod. Der Tod der Ich-Illusion.

Die Wahrheit ist so einfach, das spricht sowieso schonmal für sie. Und sie ist schön. Allerdings erst auf den zweiten Blick. Zuerst wirkt sie erschreckend und abstoßend. Aber sie ist schön, und sie ist befreiend. Ich muß mir nicht mehr mein kleines Menschengehirn über die vielen Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten in der Welt zermartern. Es ist alles nur ein Traum, auf den ich nicht den geringsten Einfluß habe.

Ich darf wie ein Zeuge auf der Zuschauertribüne sitzen und dieses wunderbare Spektakel namens Leben aus allernächster Nähe betrachten. Wir sitzen alle in der ersten Reihe. Die ganzen Absurditäten dienen einfach unser aller Unterhaltung. Der Sinn liegt nicht in der Erscheinung, sondern er liegt dahinter. Die Dinge sind nicht das, was sie scheinen.

Die ganze Schöpfung ist Ausdruck Gottes, und wir sind alle Kinder Gottes, mit dem "göttlichen Funken" in uns. Unsere Aufgabe ist einfach, das zu sein, was wir in unserer Rolle sind, in jedem Augenblick unseres Lebens. Das ist alles. Mehr brauchen wir nicht zu tun. Aber auch nicht weniger. Und das ist keine leichte Aufgabe, da wir ständiger Versuchung ausgesetzt sind. Statt darum zu wetteifern, wer den größten Größenwahn entwickelt, sollten wir lieber um Authentizität, Spontaneität und Wahrheitsliebe wetteifern.

Den ganzen Abend höre ich Taizé-Lieder. Das war mir viele Jahre lang nicht mehr möglich, weil ich die Institution Kirche zutiefst ablehne ebenso wie die von ihr gelehrten Glaubensinhalte. Jetzt kann ich von den Texten etwas abstrahieren und mich einfach an der wunderschönen meditativen Melodieführung erfreuen.

Die Tränen laufen heute nacht fast ununterbrochen. Ich bin so sehr ergriffen. Auch viel Reue über die versäumten Jahre ist dabei. Und tiefes Glück, daß ich der Wahrheit jetzt nähergekommen bin. Ich bin immer noch ganz am Anfang des Verständnisses. Das kommt davon, wenn man so viele Jahre lang in die falsche Richtung schaut.

Jetzt ist das Brett vor dem Kopf weg, und mein Blick ist deutlich klarer.

Ich muß jetzt lernen, meine Rolle anzunehmen. Es gilt, das Gespür für die innere wahre Stimme zu schulen, und dieser immer und überall zu folgen. Wenn mir das gelingt, ist mein Leben sinnerfüllt und ein Lob Gottes. Das ist doch wunderbar. Ich muß nicht nach außen schauen, nur nach innen.

Mir ist immer noch nicht klar, ob es noch einen kleinen Handlungsspielraum gibt. Vielleicht gibt es tatsächlich überhaupt keinen. Dann wären z.B. Beziehungen zwischen Menschen so zu sehen, als würden meine linke und meine rechte Hand sich jeweils für unabhängige Individuen halten. Wenn ich beide Hände zusammenführe, würde diese Schein-Persönlichkeiten sich für eng verbunden halten, und wenn ich sie auseinandernehme, hätten sie eine schwere Beziehungskrise. Und bei alledem würden sich die beiden Hände noch einbilden, daß es ihre freie Entscheidung sei, wie es gerade um die Beziehung zueinander stehe.

Es steckt auch viel Selbstironie in dem Anerkenntnis der Schauspielrolle. Es ist gut, das Leben nicht bierernst zu nehmen. Wir kehren zurück zu Gott, was sorgen wir uns über unsere zeit- und raumgebundene fiktive Rolle.

Ich habe mir oft vorgestellt, daß das ganze Universum vielleicht nur ein Globus ist, der auf dem Wohnzimmertisch eines Bewohners eines anderen Universums steht. Nun stelle ich fest, daß es ähnlich fiktiv ist. Es ist wunderbar, aber es ist nur ein Traum, es ist nicht real, es ist Phantasie. Was erforschen unsere Wissenschaftler da die fernen Galaxien? Sie sollten erstmal sich selbst erforschen. Es gibt uns als Menschen gar nicht wirklich. Es gibt uns nur als "göttliches Bewußtsein". Ob Gott über sich selber lachen kann? Ich glaube ja, denn es ist auch urkomisch.

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