Mittwoch, 9. Dezember 2009

Wer bin ich?

Ich bin schon wieder voller innerer Unruhe. Ich glaube, ich habe noch nicht genug losgelassen, ich habe noch nicht genug geopfert. Muß ich meine Sehnsucht nach Kontakt ganz aufgeben? Das Ich ist noch nicht verschwunden, und somit auch nicht das Du. Die Bezogenheit ist immer noch da. Die Welt war gestern für einen Moment ganz verschwunden, aber ist dann schnell zurückgekehrt.

Ich habe anscheinend immer noch Angst vor dem Schwarzen Loch. Ich muß mich noch tiefer fallenlassen.

Aus Neugierde habe ich heute einige Interviews mit Reinhold Messner nachgelesen. Er beschreibt darin, daß seine stärksten Erfahrungen, die stärksten Glücksgefühle immer im Moment der Rückkehr auftreten. Das kann ich nachvollziehen. Die Rückkehr aus der Einsamkeit, der körperlichen Härten, der Ausgesetztheit zurück zu den Menschen löst Euphorie aus. Das kenne ich von mir im viel kleineren Maßstab auch.

Aber diese Euphorie macht süchtig. Sie löst Sehnsucht nach dem noch stärkeren Kick aus. Sie bringt keine Erlösung, keine Befreiung. Jedenfalls nicht auf Dauer.

Ich merke es heute an meiner eigenen inneren Unruhe. Ich bin nicht befriedigt. Im Wort "Sehnsucht" steckt "Suche". Solange ich suche, nach Erfahrungen oder was auch immer, bin ich nicht frei.

Und die Euphorie, die ich heute selber teilweise spüre, erzeugt leicht Übermut. Und Übermut liegt nahe beim Hochmut. Das ist eine Falle!

Die Sehnsucht muß ganz offensichtlich auch noch geopfert werden. Und damit alle Hoffnung und alle Erwartung. Das ist hart. Ich weiß nicht, ob ich dafür schon bereit bin.

Wenn wirklich nur das übrigbliebe, was ich heute bin, ohne Hoffnung auf Entwicklung oder Verbesserung, dann… (jetzt kommen wieder Tränen)

…das wäre schrecklich, keine Perspektive
…das wäre schön, endlich Schluß mit der Unruhe, endlich so Angenommensein, wie ich bin





Ist schon klar, was dann passiert: dann muß ich dieses beschissene Leben, so wie es ist, weiterleben. Manchmal ist es ja auch ganz schön. Aber manchmal ist es eben auch nichtssagend, uninteressant und total langweilig. Manchmal ist es grotesk. Oft ist es total peinlich. Wer will schon so sein, wie er/sie wirklich ist? Niemand! Jede/r will gerne jemand anders sein!

Wie war das mit der Freiheit von der Rolle? Der inneren Freiheit, wenn es schon keine äußere Freiheit gibt? Das wäre der allerletzte Strohhalm.

Mir kommt in den letzten Tagen häufiger folgendes Zitat in den Sinn:

"To-morrow, and to-morrow, and to-morrow,
Creeps in this petty pace from day to day,
To the last syllable of recorded time;
And all our yesterdays have lighted fools
The way to dusty death. Out, out, brief candle!
Life's but a walking shadow, a poor player,
That struts and frets his hour upon the stage,
And then is heard no more. It is a tale
Told by an idiot, full of sound and fury,
Signifying nothing."

Das ist aus Macbeth, und es ist fast das einzige klassische Zitat, das ich jemals auswendig gelernt habe. Shakespeare muß ein Schamane gewesen sein.

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Nachdem ich die vorangegangen Zeilen formuliert hatte, konnte ich einige Stunden konzentriert arbeiten. Immerhin. Wenn nichts anderes übrigbleibt, dann spiele ich eben meine Rolle weiter, z.B. die am Arbeitsplatz. Mangels schlüssiger Alternative will ich das ja auch. Sofern ICH da überhaupt was mitzureden habe (daran zweifele ich unterdessen stark).

Wer ist es, der bestimmt, ob ich arbeiten kann oder nicht? WER? Wer versetzt mich immer wieder so in Wallung, daß Konzentration unmöglich wird? WER? Wer entscheidet, ob ich arbeite oder ob ich über den Sinn des Lebens grübele?

Das konsequente Nachbohren mit der Frage "Wer bin ich?" soll angeblich zu der Erkenntnis führen, daß es kein Ich gibt. Kann ich mir nicht vorstellen… Wer hat denn dann die Verantwortung?

Habe ich Verantwortung für die Handlungen des Rollenspielers, obwohl ich der Rollenspieler nicht wirklich bin? Das ergibt für mich keinen Sinn, ich kapiere das einfach nicht. Bin ich der Drehbuchautor und habe die Verantwortung für das Drehbuch, nach dem "ich" dann die Rolle spiele?

Ich bin nicht mein Verstand und ich bin auch nicht mein Körper, beides habe ich gestern abend verlassen. Da kann ICH aber doch immer noch ein Geistwesen sein, das den Körper bewohnt. Oder ein Seelenwesen. Das ICH ist damit jedenfalls weder aufgelöst noch als Illusion enttarnt, es ist IMMER NOCH DA!

Wer bin ich? "Ich bin eine unsterbliche Seele, die nach dem Tod weiterlebt." Diese Aussage steht jedenfalls nicht im Widerspruch zu meinen bisherigen Erfahrungen. Wenn das ein Widerstand ist, dann ist er ziemlich hartnäckig...

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